Im Café zum Interview mit Andreas Gruber

Beitrag von Stefan Cernohuby | 24. August 2016

Wer den Namen Andreas Gruber kennt, könnte den österreichischen Autor aus unterschiedlichen Zeitperioden kennen. Aus seiner Zeit erster Kurzgeschichten im Bereich Horror und Science-Fiction, aus seiner Zeit der Horrorromane oder durch seine mittlerweile sehr populären Thriller. Nun, kurz nach dem Erscheinen seines Romans „Todesmärchen“, dem dritten Buch rund um den niederländischen Profiler Maarten S. Sneijder, haben wir uns mit Andreas Gruber in einem Wiener Kaffeehaus getroffen. Er hat sich unseren Fragen mutig gestellt – denn seine Wege und unsere, haben einander schon mehrfach gekreuzt.


Stefan Cernohuby: Andreas und ich kennen uns schone eine ganze Weile. Tatsächlich warst du sogar in drei meiner Bücher vertreten.

Andreas Gruber: Ja, das waren „Der Fluch des Colorado River“, „Von Feuer und Dampf“ und „Die Rache der Feder“.

SC: In der Zwischenzeit hast du dich nicht nur am Krimi- und Thrillermarkt etabliert, sondern weit mehr Aufmerksamkeit erregt als mit den Romanen vor der Thrillerzeit. Hast du erwartet, dass das so kommt?

AG: Nein, ich hab es nicht erwartet. Ich habe ja nur zwei Horrorromane geschrieben. Das waren „Der Judas-Schrein“ und “Das Eulentor“. Danach habe ich die ersten beiden Peter-Hogart-Thriller für den Festa Verlag geschrieben: „Die Schwarze Dame“ und „Die Engelsmühle“. Die haben beide in der Thrillerwelt überhaupt keine Aufmerksamkeit bekommen. Nur meine alten Horrorfans haben diese Thriller gelesen. Zunächst habe ich mir gedacht, dass ich es nicht schaffe in diese Welt vorzudringen. Das ist mir erst Jahre später mit „Racheherbst“ gelungen. Ich habe eine Agentur gefunden, die das Buch dem Club Bertelsmann und dem Goldmann Verlag angeboten hat. Dort wurde es dann in einem großen Publikumsverlag herausgebracht. Doch auch da war die Resonanz in Thriller- und Krimikreisen noch sehr verhalten. Erst bei „Todesfrist“, der nächste Roman für Goldmann, ist es mit der Mundpropaganda losgegangen. 

Um die Frage zu beantworten - nein, ich habe nicht damit gerechnet, dass das solche Dimensionen annimmt. Ich habe mir gedacht, das plätschert weiter so dahin. Ich werde nach wie vor meinen Teilzeitjob haben und werde halt weiterhin alle eineinhalb Jahre einen Krimi schreiben.

SC: Bei welchem Roman hast du dann erstmals die Chance gesehen zu sagen, vielleicht haut das doch hin, als Vollzeit-Autor zu arbeiten?

AG: Vollzeit wollte ich immer schon schreiben. Schon damals, als ich die ersten Horror-Kurzgeschichtenbände geschrieben habe; lange Zeit vor dem „Judas-Schrein“ für den Festa-Verlag. Bereits da habe ich mir gedacht, ich möchte von der Schreiberei leben. Manchmal hat es besser ausgeschaut, dann habe ich wieder gemerkt, dass das alles eine Illusion ist. Dann bin ich wieder auf den Boden der Realität geholt worden. Das erste Mal, als mein Wunsch vom Vollzeit-Autor in realistisch greifbare Nähe gekommen ist, war als ich an „Todesurteil“ gearbeitet habe. Das war der vierte Roman für den Goldmann Verlag und da wurde das erste Mal viel ins Marketing hineingesteckt. Die ersten beiden Romane waren sogenannte „Umfeldtitel“, die haben sich durch Mundpropaganda durchgesetzt. Das hat der Verlag erkannt, das Marketing gestartet und mir einen Zwei-Buch-Vertrag angeboten. Da kann man dann schon überlegen, ob man von der Schriftstellerei leben möchte oder nicht, ob man es riskiert, den Teilzeitjob an den Nagel zu hängen. Meine Frau war nicht davon überzeugt. Man wüsste nicht, wie sich die Verlagswelt entwickelt. Die nächsten zwei Bücher können schon wieder ein Flop sein. Auch mein Agent riet mir davon ab. Mit ähnlichen Argumenten.
Das hat mich wieder einmal auf den Boden der Realität zurückgeholt.

SC: Und wie ging es weiter?

AG: Im Jahr darauf habe ich es dann wirklich riskiert. Und zwar deshalb, weil ein Autorenkollege von mir, Michael Marcus Thurner der für Perry Rhodan schreibt und schon viele Jahre vor mir selbstständiger Autor geworden ist, zu mir gesagt hat: „Du wirst sehen, ab dem Zeitpunkt, ab dem du freier Autor bist, kommen die Aufträge. Das ist ein Selbstläufer, du hast mehr Zeit, bist präsenter. Das ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung“. Und so ist es auch gewesen. Als ich gesagt habe, jetzt bin ich vollberuflicher Autor, sind plötzlich auch die Lesungsanfragen gekommen, die ich früher alle hätte absagen müssen, weil ich im Büro gewesen wäre. Durch mehr Lesungen, durch mehr Präsenz und dadurch, dass ich mehr Buchrunden online begleitet habe, sind wieder mehr Leser gekommen. Und so hat eben eines zum anderen geführt.

SC: Du warst als Autor eher in Österreich präsent, wie sind denn da die Goldmann-Romane in Deutschland angenommen worden.

AG: Eigentlich ist es ein wenig umgekehrt. Ich war früher bei Lesungen hauptsächlich in Deutschland unterwegs und habe in Österreich weniger gehabt. Meistens sind die Einladungen von deutschen Bibliotheken gekommen. In Deutschland haben sich die Bücher auch sehr gut verkauft. 95 Prozent aller Bücher sind dort verkauft worden, der Rest in Österreich. So als ob ich in Österreich als Krimischriftsteller gar nicht wahrgenommen werde. Dann hat sich plötzlich das Bild gewandelt und ich habe auch Anfragen von österreichischen Bibliotheken und Buchhandlungen bekommen; Einladungen zu österreichischen Krimi-Festivals und zu Lesungen, zum Beispiel zum Fine-Crime-Krimifestival in Graz, zum „Mörda Frühling“ in Wien und verschiedenen Krimifestivals am Attersee. Schließlich haben die Verkäufe in Österreich auch angezogen. Irgendwie habe ich also das Pferd von hinten aufgezäumt.

SC: Du bist dieses Jahr für mehrere Preise nominiert worden, bis jetzt ist es allerdings bei zweiten Plätzen geblieben, oder?

AG: Das kann man jetzt nicht so sagen, ob es der zweite oder der fünfte Platz war. Da gibt es eine Shortlist mit fünf Nominierungen und dann gibt es einen Gewinner. Bei den andern vier weiß man nicht, ob die zweiter, dritter oder vierter sind.
Das war die Nominierung für den Friedrich Glauser Preis, ür den Friedrich Glauser Preis, den hat Michael Böhm gewonnen. Letztes Jahr war ich für den Wiener Leo Perutz Krimipreis nominiert, den hat Theresa Prammer gewonnen. In diesem Jahr bin ich wieder für den Leo Perutz Preis nominiert - der wird im September verliehen. Für den Skoutz Award bin ich nominiert, der wird auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober verliehen. Aber, was ich gewonnen habe – und das ist der erste Krimipreis überhaupt und über den freue ich mich besonders – ist der Herzogenrather Krimipreis. Der Preis, die sogenannte Herzogenrather Handschelle, wird von der Herzogenrather Stadtbibliothek verliehen.

SC (schweigt verblüfft)

AG: Das kam so. Der Vorstand von diesem Bibliotheksverein wollte mich unbedingt für eine Lesung haben. Ich wollte das gerne mit anderen Lesungen in Deutschland verknüpfen, damit ich nur einmal hinfliege, vier Lesungen mache und dann wieder zurückfliege. Er wollte mich unbedingt für diesen Termin haben und war sehr hartnäckig. Also habe ich mir gedacht, egal ob die anderen jetzt zusagen oder nicht – ich komme zum Herzogenrather Krimifest. Man hat sich sehr über meine Zusage gefreut und man müsse mir noch etwas sehr Spannendes erzählen. Zwei Tage später habe ich einen Anruf erhalten und erfahren, dass die Herzogenrather Handschelle in diesem Jahr an mich geht.

SC: Die wird dann angelegt?

AG: Wahrscheinlich ist es dann so. Mir wird diese Handschelle angelegt und ich darf dann den Roman präsentieren. Ich habe geantwortet, ich freue mich total, bin ich doch mittlerweile schon für mehrere Krimipreise nominiert worden, habe aber noch nie einen gewonnen. Das ist nun der erste.

SC: Mit deinem neuen Roman bist du dieses Jahr erstmals auf der Frankfurter Buchmesse. Wie glaubst du, dass dein neues Werk aufgenommen wird?

AG: Ich bin überhaupt zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse. Wie es aufgenommen wird, kann ich nicht sagen. Ich hoffe gut. (lacht)
Das ist immer der Nervenkitzel bei jedem neuen Buch. Kommt es an oder nicht? Ich probiere den nächsten Roman mindestens genauso gut wie den Vorgängerroman zu schreiben, aber das Risiko ist natürlich immer da, dass die Leute sagen – „Na geh, das Vorgängerbuch war besser.“ Aber bis jetzt – Andreas klopft auf Holz – sind die Rezensionen ganz gut.

SC: Zu den Charakteren. Es geht wieder um den Chefprofiler Maarten S. Sneijder. Wie bist du ursprünglich auf diesen Charakter gekommen? Er ist aus den Niederlanden, er unterrichtet, da sind seine Schrulligkeit, seine Cluster-Kopfschmerzen. Gibt es eine reale Vorlage?

AG: Nein, diese Figur ist am Reißbrett entstanden. Und zwar hat das folgenden Hintergrund: Ich habe früher Horrorromane geschrieben und dann den ersten großen Thriller für den Goldmann Verlag. „Rachesommer“. Hier kommt Walter Pulaski vor. Die Horrorfans haben den Roman gelesen und gesagt: „Okay, für einen Thriller ist es ganz gut und recht spannend, aber es ist schon ein bisschen kommerzieller als die Horrorromane früher. Die Figuren sind ein bisschen kommerziell. Früher hat er sich mehr getraut, bei seinen Horrorromanen. Und ohje, um Gottes Willen, Andreas Gruber schreibt jetzt kommerziell.“
Dann habe ich mir gedacht, okay, wenn das so ist, dann werde ich den nächsten Roman in der Tradition der früheren Horrorromane schön schräg schreiben, mit Figuren mit Ecken und Kanten und mich in dieser Hinsicht nicht in Richtung Kommerz verbiegen. Ich wollte eine Figur schaffen, die skurril ist. Das sollte ein Profiler sein. Am Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Der hat die Macht und die Möglichkeiten etwas zu bewirken, also kein kleiner Dorfpolizist, und es wäre mir fad erschienen, wenn das jetzt ein Österreicher oder Deutscher gewesen wäre. Also habe ich mich dafür entschieden, dass es ein Niederländer sein soll, der jetzt noch schräge Eigenschaften bekommen sollte. Er kifft - das ist das erste, das mir eingefallen ist. Er hat Cluster-Kopfschmerzen, und zwar so extrem, dass er sich mit Akkupunkturnadeln selbst akkupunktiert. Darum raucht er auch Marihuana, damit er die Schmerzen losbekommt. Alles was mich noch fasziniert hat, habe ich ebenfalls mit hineingepackt. Er ist schwul, er klaut Bücher in einer fiktiven Buchhandelskette – das hat etwas mit seiner privaten Vergangenheit zu tun– er ist ein Misanthrop. Er hasst alle Menschen auf dieser Welt, außer sich selbst – denn er ist von sich selbst so eingenommen – und so zynisch, dass alle Leute von ihm sagen, er sei ein Kotzbrocken. Aber er ist auf der anderen Seite ein Genie. Und ich habe ihm angedichtet, dass er eine Aufklärungsrate von 95 Prozent hat.
So ist diese Figur entstanden.

SC: Die Nebencharaktere haben sich dann im Laufe der Zeit mit ihm mitentwicklt?

AG: Ja, die haben sich mitentwickelt. Als erstes ist die Sabine Nemez dazugekommen, eine junge Münchner Kripoermittlerin, vom Kriminaldauerdienst. Die wurde von Sneijder quasi unter seine Fittiche genommen. Im zweiten Teil wurde sie von ihm nach Wiesbaden geholt, an die Akademie, wo er auch unterrichtet. In „Todesmärchen“ ist ihr Studium abgeschlossen und die beiden werden ein Team. Im zweiten Band ist Tina Martinelli dazugekommen und im dritten Rudolf Horowitz, das ist ein Schweizer Profiler im Rollstuhl. Das Team um Sneijder wird also von Band zu Band größer.

SC: Mittlerweile hast du schon etliche Thriller veröffentlicht, die auch gut laufen. Hast du Pläne, auch wieder einmal etwas in anderen Genres zu schreiben?

AG: Ich komme ja ursprünglich aus der Horror- und Science-Fiction-Ecke. Dafür habe ich viele Kurzgeschichten in inzwischen vergriffenen Anthologien veröffentlicht. Die Rechte sind mittlerweile wieder an mich zurückgefallen. Die überarbeite ich und habe Gott sei Dank den Luzifer Verlag gefunden, der meine gesammelten Kurzgeschichten der Reihe nach herausbringt. Das ist sozusagen das zweite Standbein in anderen Genres. Es ist „Northern Gothic“ erschienen, mit Horrorstories. Dann ist kürzlich „Apocalypse Marseille“, eine Sammlung mit Science-Fiction-Stories. Ich werde die alten, vergriffenen Kurzgeschichtenbände neu überarbeiten und die sollen auch neu aufgelegt werden. „Jakob Rubinstein“, „Der fünfte Erzengel“, „Ghost Writer“ und „Die letzte Fahrt der Enora Time“. Auch neue Geschichten kommen dazu, um die gleiche Dicke zu erreichen wie bei „Northern Gothic“ und „Apocalypse Marseille“. Das soll also eine Reihe mit Kurzgeschichtenbänden werden.

SC: Du hast also nicht vor, wieder einmal einen Horrorroman zu schreiben?

AG: Nein, Horrorroman nicht. Aber ich habe eine Idee in Richtung Roman, bei dem ich das Genre wechsle. Ich habe zwar schon einen Verlag dafür, aber da sind wir momentan in Diskussion über einige Änderungen, für die mir aktuell die Zeit fehlt. Nächstes Jahr im Frühjahr gibt es dann eine neue Exposérunde und wenn das dann etwas wird, wird es hoffentlich in einem anderen Verlag eine neue Buchreihe geben. Aber ich kann jetzt noch nicht verraten welcher Verlag und welches Genre das ist. Es ist auf jeden Fall kein Liebesroman.

SC: Viele Autoren aus dem Umfeld haben sich schon bei größeren Reihen beteiligt, wie zum Beispiel – von dir vorher schon erwähnt – Perry Rhodan. Hat dich so etwas nie gereizt?

AG: Ich habe für verschiedenste Reihen schon Angebote bekommen. Auch Angebote, als Co-Autor mitzuschreiben. Aber ich fühle mich nicht wohl in der Rolle, wenn ich eine vorgefertigte Handlung oder Charaktere bekomme und ich schreibe dann etwas dazu. Da habe ich immer das Gefühl, eingeengt zu sein. Ich würde das immer gerne in eine bestimmte Richtung entwickeln. Bis es so weit ist, dass ich einen Roman an den Verlag abliefere, lese ich ihn mir vielleicht zehn bis zwölfmal durch. Mir kommen mir immer wieder Ideen oder ich erkenne Schwachstellen, wo ich etwas ändern kann. Wenn ich einen Roman alleine schreibe, habe ich die Möglichkeit, dass ich das so ändere, wie ich glaube, dass es richtig ist. Natürlich in Zusammenarbeit mit Testlesern und dem Lektorat. Aber in einer bestehenden Reihe habe ich diese Möglichkeit nicht. Auch würde ich wahrscheinlich oft Dinge schreiben, die meinem Naturell widersprechen, weil es einfach „so sein muss“. Ich glaube, wenn ich das tun müsste, kann es nicht wirklich gut werden. Ich will aber gute Sachen schreiben. Darum bin ich vermutlich für solche Reihen der falsche Autorenkollege.

SC: Neben der „Todes“-Reihe gibt es ja noch die „Rache“-Reihe. Da gab es „Rachesommer“, „Racheherbst“. Logisch wäre eigentlich als nächstes „Rachewinter“. Wird es in diese Richtung etwas Neues geben?

AG: Ich kann jetzt nur so viel verraten, es wird einen dritten „Rache“-Teil geben. Mit Walter Pulaski und mit Evelyn Meyers. Die Handlung steht bereits. Einen Vertrag dazu gibt es auch schon. Wann das Buch erscheinen wird, kann noch nicht sagen – es ist auch noch ein Geheimnis, was nach „Todesmärchen“ passieren wird. Aber ob der Band dann „Rachewinter“ heißt, da sind sich der Verlag und ich noch unschlüssig.

SC: Vielen Dank für das Gespräch. Wir sehen uns dann spätestens bei der Frankfurter Buchmesse.

AG: Sehr gerne. Bis dann!

Fotos von Michael Seirer Photography
Im Café zum Interview mit Andreas Gruber