Wer heutzutage davon spricht, in einem ruhigen Zuhause zu wohnen, meint in der Regel, dass es nicht direkt an einer Autobahn oder in der Einflugschneise eines Flughafens liegt. Eher selten ist von einem Haus in einem einsamen Waldstück abseits der Zivilisation die Rede, in dem moderne Technologie nur wie eine entfernte Erinnerung wirkt. Sonja Rüther hat als Sonnie Strange ein solches Zuhause in sehr düsteren Farben gemalt.
Elin besitzt nichts, außer einem Kopf voller schlechter Erinnerungen, als ihr in einem Obdachlosenheim ein Job angeboten wird. Es geht um ein abgelegenes Hotel. Ein Silent Home. Ein Haus, in dem strenge Regeln gelten und in dem sie nach fünf Jahren Arbeit genügend Kapital für einen kompletten Neustart ihres Lebens erhalten soll. Etwas, was zu gut klingt, um wahr zu sein. Aber auch zu gut, um das Angebot der Frau namens Miss Turner einfach auszuschlagen. Elin mutmaßt zuerst, dass es sich um ein Bordell handelt, doch das trifft es nicht. Tatsächlich ist es ein Ort, an den reiche und mächtige Leute kommen, um all das auszuleben, was sie im Alltag nicht erleben können. Von Sadismus über Masochismus und bestimmte Rollenspiele, alles wird geboten, es gibt keinerlei Tabus. Die wichtigste Person im Haus ist ein Individuum namens Love, ein Albino Anfang 20, der so wandelbar ist, dass er gleichermaßen männliche wie weibliche Rollen spielen kann und dessen Fähigkeit Schmerz zu ertragen nur von seinem eigenen Wunsch danach übertroffen wird. Elin stellt schnell fest, dass im Haus einiges nicht mit rechten Dingen zugeht und die Gesetze der Realität nur eingeschränkt gelten. Unnatürliche Ereignisse, uralte Bewohnerinnen und das Wissen, dass es früher weit schlimmer, weit perverser und fast immer tödlich zugegangen ist, lassen Elin über den kaum verhohlenen Hass anderer Angestellter hinwegsehen. Denn irgendwann muss sie sich entscheiden, ob sie nur überleben oder mit all ihrer Wut, ihrer Widerstandsfähigkeit und ihrem Improvisationstalent ein generationenübergreifendes Familiendrama aktiv mitzugestalten will.
Gleich zuerst. Ist das ein Buch für alle Lesende? Diese Frage muss man mit einem lauten Nein und mehreren Ausrufezeichen beantworten. Ja, das Label Horror steht auf dem Buch in den Content Notes auch Worte wie sexuelle Gewalt, Leichenschändung und Folter. Das sollte man zutiefst ernst nehmen, denn es sind zwar die deutlichsten Ausprägungen an verstörenden Inhalten, es gibt aber noch zahlreiche weitere. Sie alle dienen natürlich einem Zweck, und spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem klar wird, was das Haus früher war, muss man tief durchatmen. Denn die Realität ist manchmal genauso grausam wie die Fiktion – und dass es reale Orte, die dem hier fiktiv geschaffenen entsprochen haben, ist alles andere als undenkbar. Ein bisschen schwieriger als die Handlung ist aber die Wandlung der Protagonistin nachzuvollziehen, oder sollte man selbige eher als „Erwachen“ bezeichnen? Von einer Person, die in eine unterdrückte Opferrolle gestoßen wird, wird sie zum genauen Gegenteil. Vielleicht eine Veränderung, die nicht von allen Lesenden als realistisch erachtet wird. Dennoch ist das Buch eine blutige und verstörende Achterbahnfahrt, die ihresgleichen sucht. Ein Buch, das man Fans von Horror ohne Berührungsängste sicherlich empfehlen kann.
„Silent Home“ ist der erste Roman von Sonnie Strange, dem neuen Horror-Pseudonym von Sonja Rüther. In ihm lernt man nicht nur das titelgebende Gemäuer kennen, sondern auch viele Abgründe der Menschen. Verstörend, brutal, blutig und teils schonungslos hart wird die Geschichte eines Orts erzählt, der einst noch viel schlimmer war. Aber ob es deshalb Vergebung oder gar Erlösung gibt?
Details
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Erschienen:03/2025
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Umfang:320 Seiten
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Typ:Taschenbuch
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Altersempfehlung:18 Jahre
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ISBN 13:9798312424652
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Preis (D):15,00 €