Ein Fall für Max Liebermann

Wiener Tod

von Frank Tallis
Rezension von Stefan Cernohuby | 14. Juli 2021

Wiener Tod

Das Sterben ist keine sehr beliebte Angelegenheit. Zumindest nicht für denjenigen, der stirbt. Doch manche Städte und ihre Bewohner sind geradezu für ihre Morbidität verrufen. Darunter hat Wien ganz bestimmt eine Ausnahmestellung inne. Wenn sich nun ein britischer Autor in das Wien der späten Kaiserzeit begibt und der zugehörige Roman „Wiener Tod“ heißt, so glaubt man schon einige unausgesprochene düstere Versprechen zu hören, deren Folgen sicherlich dramatisch sind.

Bei dem vorliegenden Roman, der im englischen Original „Fatal Lies“ heißt, handelt es sich allerdings bereits um den dritten Teil einer Serie um den jungen Psychoanalytiker Max Liebermann. Nachdem er mit seinen unkonventionellen Methoden der Polizei bereits mehrfach helfen konnte, wird er auch diesmal von seinem Freund Inspektor Rheinhardt um Hilfe gebeten. Bei einem mysteriösen Todesfall in einer Militärschule vor Wien scheint es sich auf den ersten Blick um eine natürliche Ursache zu handeln. Doch Rheinhardt vertraut seiner Intuition. Tatsächlich gibt es zahlreiche Vorkommnisse, welche nicht erfreulich sind. Man stößt auf sexuelle Beziehungen, brutale Disziplinierungsmaßnahmen und seltsame Vorstellungen von Zucht und Ordnung. Möglicherweise hat es sich tatsächlich um einen Mord gehandelt. Neben diesen Nachforschungen ist der Protagonist vor allem in seinem Liebesleben äußerst unsicher. Eigentlich ist er in die Engländerin Miss Lydgate verschossen. Doch da ist auch noch die geheimnisvolle Ungarin Trezska Novak, die ihm den Kopf verdreht. Und das ist noch längst nicht alles, denn Max Liebermann verstrickt sich in noch weitaus größere Ränke. Gib es ein Komplott gegen Kaiser und Vaterland und er steckt ohne es zu wissen in seinem Zentrum?

Was denkt man als erstes, wenn man den Band „Wiener Tod“ zu lesen beginnt? Ohje, ein Brite der etwas über Wien schreiben will. Doch schnell merkt man, dass der Mann recherchiert hat. Es gibt keine augenscheinlichen Anachronismen und die Umgebung der Handlung wirkt nicht fehl am Platz. Selbst die Tatsache, dass Liebermann den großen Sigmund Freud persönlich kennt, kann man als Leser akzeptieren. Die Geschichte, die dem Roman innewohnt, ist gut erzählt und durchgehend spannend. Auch die Charaktere sind interessant. Liebermann als Vorreiter des Typus „ermittelnder Therapeut“, Reinhardt als Anwender neumodischer Ermittlungsmethoden. Selbst die Randpersonen scheinen mehr als nur zweidimensionale Nebendarsteller zu sein, obwohl manche von ihnen aus Robert Musils „Verwirrungen des Zöglings Törless“ entlehnt zu sein scheinen. Des Weiteren kann man das Aufblühen modernen Gedankenguts gegen den Willen des Großteils der Bevölkerung verfolgen. Psychoanalyse, Beziehungen unverheirateter Liebender und der Verlust des Respekts vor der Obrigkeit sind allgegenwärtig. Man spürt beim Lesen, dass sich die Welt im Hintergrund im Umbruch befindet. Einzig und allein die Tatsache, dass Frank Tallis gegen Ende des Romans die eigentlich bereits dem Ende zustrebenden Erzählfaden immer wieder neu verwebt, mag nicht jedermanns Sache sein. Ansonsten kann das Buch Krimiliebhabern, Fans von Romanen über die österreichische Kaiserzeit und auch denjenigen, die einfach nur die Stadt Wien mögen, empfohlen werden. Vermutlich sollte man sich aber auch die ersten beiden Romane von Tallis zulegen, die ebenfalls in Wien angesiedelt sind.

„Wiener Tod“, Frank Tallis dritter Roman aus der Reihe rund um „Max Liebermann“, beinhaltet eine überraschende Mischung aus Krimi und Agententhriller mit leichten, amüsanten und nicht ernst gemeinten Andeutungen in Richtung Beziehungsdrama. Das Buch ist daher nicht nur hartgesottenen Krimifans zu empfehlen, sondern auch für Liebhaber der Stadt Wien eine Empfehlung wert.

Details

Bewertung

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