H. P. Lovecraft: Das Werk

von H. P. Lovecraft, Leslie S. Klinger (Hrsg.)
Rezension von Stefan Cernohuby | 22. Oktober 2017

H. P. Lovecraft: Das Werk

Es gibt eindrucksvolle, dicke und übergroße Wälzer, die geschichtliche Relevanz besitzen. Manche von ihnen transportieren Wissen, andere Angst. Ein Buch aus zweiter Kategorie, das in Realität niemals wirklich existiert hat, ist das von Howard Phillips Lovecraft erdachte „Necronomicon“. Und nun, so viele Jahre nach seinem Tod, wurden sein Leben und Werk in einem Folianten zusammengefasst, den man vermutlich mit seinem berühmtesten fiktiven Werk vergleichen könnte. Das Buch „H. P. Lovecraft: Das Werk“ zeigt eine große Bandbreite des Schaffens des Neuenglischen Autors.

Im Vorwort des Werks geht der Herausgeber zuerst auf die Geschichte der Horrorliteratur selbst ein. Sowohl Vorläufer derselben, also auch ihre Größen werden genannt und ihr Einfluss auf Lovecraft diskutiert. Ein Teil desselben, das immerhin bis Seite 65 dauert, widmet sich auch dem Leben Lovecrafts, seinem nicht immer glücklichen Verhältnis zu Frauen und besonders auch der Beziehung zu seiner Heimat. Literarisch hatte Lovecraft zu seiner Zeit keinen hohen Stellenwert, erschienen doch so gut wie alle seine Werke in Pulp-Magazinen und zählten so zur „Schundliteratur“. Selbst sein Stil fand bei Kritikern wenig Anklang, besonders seine überbordende Verwendung von Adjektiven. Interessant wurde sein Werk erst später. Bei der Erforschung seines Lebens half, dass er unglaublich viel Briefkonversation betrieb, von der große Teile erhalten sind.
Über die Erzählungen sollen hier nicht zu viele Worte verloren werden. Enthalten sind die folgenden Werke: Dagon, Randolph Carters Aussage, Jenseits der Mauer des Schlafes, Nyarlathotep, Das Bild im Haus, Herbert West – Wiedererwecker, Die namenslose Stadt, der Hund, Das Fest, Das Unsagbare, Cthulhus Ruf, Der silberne Schlüssel, Der Fall Charles Dexter Ward, Die Farbe aus dem All, Das Grauen von Dunwich, Der Flüsterer im Dunkeln, An den Bergen des Wahnsinns, Der Schatten über Innsmouth, Die Träume im Hexenhaus, Das Ding auf der Schwelle, Der Schatten aus der Zeit und Der Schrecken der Finsternis. Beinahe 50 Seiten Anhänge inklusive Zeittafel, der Geschichte des Necronomicons und den Einflüssen von Lovecraft auf Popkultur und den deutschen Sprachraum runden den Band ab.

Zu behaupten, „H. P. Lovecraft: Das Werk“ sei der erste Sammelband, der sich mit den Arbeiten von Lovecraft auseinandersetzt, wäre nicht nur unangemessen und falsch, sondern schlichtweg lachhaft. Nach verschiedenen Annäherungen durch den führenden Lovecraft-Experten S. T. Joshi ist das Werk von Leslie Klinger nur ein weiteres. Jedoch muss man „nur“ stark relativieren, auch wenn es sich nicht um eine vollständige Werkausgabe, sondern um nur 22 ausgewählte Erzählungen handelt, die vom Herausgeber als die wichtigsten betrachtet werden – das liegt vermutlich im Auge des Betrachters. Aber das wirklich beeindruckende an diesem Werk sind nicht die Erzählungen selbst, mit denen vermutlich jeder Kenner in der einen oder anderen Form vertraut ist. Das, was diese Ausgabe wirklich besonders macht, sind auch nicht nur das Überformat und die Gestaltung. Es sind die umfassende Kommentierung, die hinzugefügten Illustrationen und nicht zuletzt auch die nicht verklärte Aufarbeitung des Lebens von Howard Phillips Lovecraft, inklusive seines unverhohlenen Rassismus, seiner Fremdenfeindlichkeit und seines beschränkten Weltbilds in vielerlei Hinsicht. Was die Kommentierung angeht, kann man eigentlich nur beeindruckt sein. Jegliche zeitgeschichtliche Referenz, jeder Querverweis auf andere Werke, sogar jede Andeutung werden näher ausgeführt. Manchmal wird sogar etwas über das Ziel hinausgeschossen, wenn Begriffe, die eigentlich zur Allgemeinbildung gehören sollten, detailliert und mit schematischer Darstellung näher erläutert werden. Es finden sich Bilder, Pläne und Skizzen realer Orte, denen Lovecrafts Erzählungen nachempfunden sind. Auch Teile von Originalmanuskripten, Cover früherer Ausgaben und Fotos werden mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber dargestellt. So kann man unglaublich viel über Geschichten lernen, die man eigentlich bereits zu kennen glaubte. Insofern ist es zwar schade, dass eben nicht alle Erzählungen von Lovecraft enthalten sind, doch man erfährt so viel über die Hintergründe, den eigentlich erst von anderen erschaffenen Cthulhu-Mythos und so viel mehr, dass das Werk für jeden Wahren Fan ein Pflichtkauf ist. Und wer weiß, vielleicht nimmt sich Leslie S. Klinger ja auch noch dem Rest seiner Werke an, wenn dieses Buch jener Erfolg wird, von dem wir ausgehen.

„H. P. Lovecraft: Das Werk“ ist ein nicht nur aufgrund seines Überformats und seiner über 900 Seiten ein monumentales Stück Literatur. Es enthält war nicht wirklich die gesamte Fülle von Howard Phillips Lovecrafts Schaffen, sondern „nur“ 22 Erzählungen, aber der Inhalt wiegt den Kaufpreis von beinahe 70 Euro trotzdem auf. Denn die kommentierte Ausgabe enthält eine derartige Menge Informationen über zeitgenössische Referenzen, Querverweise und Hintergründe, dass sich einem ganz andere Dimensionen hinter Lovecrafts Geschichten auftun. Und genau deshalb ist das Werk für jeden Fan Pflichtlektüre.

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