Dracula


Große kommentierte Ausgabe
von Bram Stoker, Leslie S. Klinger (Hrsg.)
Rezension von Stefan Cernohuby | 13. Oktober 2019

Dracula

Vampire sind aus Literatur und Popkultur nicht mehr wegzudenken. Und gerade deshalb kehrt man oft und immer wieder zu jenem Werk zurück, welches ein ganzes Genre maßgeblich mitgeprägt hat: Bram Stokers „Dracula“. Angeblich ist nur der Charakter des Sherlock Holmes öfter in Verfilmungen aufgetaucht. Doch bei der aktuellen Veröffentlichung handelt es sich um keine gewöhnliche Ausgabe, sondern um eine wahrhaft große, kommentierte Ausgabe, bearbeitet von Leslie S. Klinger.

Bevor es an das eigentliche Thema geht, wird von Herausgeber Leslie S. Klinger der Grund für seine Beschäftigung mit der Materie erklärt und Neil Gaiman erzählt anschließend, wie er Leslie S. Klinger bei den Bakerstreet Irregulars kennengelernt hat sowie von seiner Beziehung zu Dracula. „Dracula im Kontext“ berichtet von Bram Stokers Leben, den zahlreichen Adaptionen, kommerzieller Nutzung der Thematik und äußert auch vorab einige Theorien, in denen Realität und Fiktion miteinander verschmelzen.
Dann beginnt der eigentliche Roman und macht dem Untertitel „Kommentierte Ausgabe“ gerade zu Beginn alle Ehre. Auf eine Seite Romantext kommen mitunter drei bis sechs Seiten Kommentare. Auch wenn es später im Roman etwas weniger wird, wird dennoch jegliche Referenz analysiert, verschiedene Ausgaben einander gegenübergestellt und auch manche Logiklöcher hinterfragt. Der Herausgeber äußert dabei seine eigenen Theorien und streut dazwischen nicht nur Kommentare ein, sondern auch Fotos, Illustrationen, Pläne, Stadtpläne, Plakate und vieles mehr. Kein Wunder also, dass der überformatige Band mehr als 600 Seiten hat.

Über den Inhalt des Werks muss man nicht viele Worte verlieren, aber für alle, die sich bisher nicht mit „Dracula“ beschäftigt haben, soll hier noch einmal in aller Kürze zusammengefasst werden, worum es geht. Das Werk besteht aus unterschiedlichen Brief- und Erzählfragmenten. Keiner der Charaktere kennt das gesamte Bild der Handlung. Zuerst reist der Junganwalt Jonathan Harker nach Transsilvanien, um dort in Vertretung eines Kollegen mit einem Grafen einen Grundstückskauf in England abzuschießen. Dabei stellt er allerdings fest, dass der Graf ein übernatürliches Wesen ist. In England gibt es wenig später seltsame Vorfälle mit einem Verlaufsmuster, die daraufhin den niederländischen Gelehrten Abraham van Helsing auf den Plan ruft. Doch dessen ursprüngliche Pläne, die Mädchen gegen den mutmaßlichen Vampir zu schützen, sind nicht von Erfolg gekrönt. Erst als er mit dem Rückkehrer Jonathan Harker zusammenarbeitet, können sie Dracula Paroli bieten und verfolgen diesen bis in seine Heimat.

Begleitend zu dieser Handlung findet man geografische Anmerkungen, Kommentare über die zum Zeitpunkt des Entstehens überaus fortschrittliche referenzierte Wissenschaft, Fotos der entsprechenden Orte und teils auch wirklich haarsträubende Vermutungen und Überlegungen des Herausgebers Leslie S. Klinger. Ein Beispiel: Es ist durchaus möglich, dass Dracula sich nicht in seine Familiengruft zurückzog und in einer einfachen Holzkiste schlief, um sich auf die lange Schiffsfahrt vorzubereiten – aber an dieser Stelle wäre vermutlich ein Versäumnis des Autors weit glaubwürdiger. Hier ist auch der eine Punkt, den man wirklich kritisieren kann, wenn man möchte. Denn in den Spekulationen verlässt Leslie S. Klinger, auch bekannt für seine Herausgeberschaft von „Lovecraft – Das Werk“, tatsächlich den festen Boden der Tatsachen und äußert hinsichtlich Stokers sonstiger literarischer Tätigkeit die Vermutung, dass dieser möglicherweise von Jonathan Harker und Dracula selbst dazu gebracht wurde, das Werk so zu verfassen, wie es sich letztendlich präsentiert. Natürlich ist klar, dass es sich hierbei um einen Scherz auf Kosten des Lesers handelt, denn in der Regel lesen nur Genrekenner derartige kommentierte Bände. In Fachliteratur ist es trotzdem etwas fragwürdig, das unkommentiert stehen zu lassen.

„Dracula“ von Bram Stoker ist ohne Zweifel als Klassiker zu sehen. Die „Große kommentierte Ausgabe“, herausgegeben von Leslie S. Klinger, ist allerdings weit mehr als das. Nicht nur die Herleitung der Entstehung des Werks ist enthalten, es wird beinahe auf jedes relevante Detail eingegangen, das man referenzieren, erklären, hinterfragen oder interpretieren kann. Obwohl der Herausgeber hinsichtlich eigener Spekulationen und der Vermischung von Realität und Fiktion stellenweise deutlich über das Ziel hinausschießt, kann man das Werk dennoch allen empfehlen, die Dracula nicht nur als einfachen Roman, sondern als wegweisende Literatur sehen, über die man auch gerne mehr erfahren möchte.

Details

Bewertung

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  • Gewalt:
  • Gefühl:
  • Erotik:
  • Illustration:
  • Extras:

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