Verstrickung

von Edda Helmke
Rezension von Elisabeth Binder | 17. April 2018

Verstrickung

Gleich eine Warnung vorweg: Wer sich aufgrund des Titels einen Mord im Strickmilieu erwartet, wird enttäuscht und das bereits auf den ersten Seiten. Die obligate Leiche wird von Ariane Keppler, der Besitzerin des schicken Wollgeschäfts "Faden der Ariane", in einer zunehmend von Bobos besiedelten Ecke in Berlin Pankow beim Joggen entdeckt.

Und das war es dann im Wesentlichen auch schon mit der Begeisterung für Wolle und Garne, denn Ariane ist mit ihrem Strickgeschick nicht über das schulisch verordnete Stadium der "Leprabinden" hinausgekommen. Die Zahlfreudigkeit ihrer Kundinnen für edle Garne hält sie jedoch ganz gut über Wasser. Wie sich also sehr schnell herausstellt, sind die "Verstrickungen" bedauerlicherweise strikt metaphorisch gemeint und das in einem sehr großzügigen Ausmaß.

Aber noch einmal zurück an den Anfang. An einem schwülen 6. August wird in einer Galerie ein Paar beim Schäferstündchen gestört. In einem kurzen Prolog wird der Mord an dem Mann kurz und bündig aus Sicht des Mörders geschildert. Was mit der Frau passiert, bleibt offen. Tags darauf wird die Leiche gefunden, allerdings, wie sich bald herausstellt, nicht am ursprünglichen Tatort. Denn der Tote taucht in der Panke auf, dem Flüsschen, das dem Bezirk einst seinen Namen gab. Was zunächst wie ein Badeunfall aussieht, wird schnell von der Polizei als Mord identifiziert, zu groß und tödlich ist die Wunde am Hinterkopf. Bei dem Toten handelt es sich um den Architekten Dipl. Ing. Thomas Imhoff, im Kiez auch nur "Dippeling" genannt, einem Architekten, dem Geschäftsführer einer lokalen Wohnanlage mit Eigentumswohnungen, eben mitten im Kiez. Vordergründig kommt hier also ein Feindbild von Gentrifizierungsgegnern ums Leben, aber die Verdachtslage wird sehr schnell erweitert. Dann gibt es noch die eifersüchtige Ehefrau, die mit drei Kindern und einem russischen Au-Pair Mädchen nunmehr allein im Penthouse ihrer vielversprechenden Jugend nachtrauert. Ein Westentaschenmacho von Lokalreporter riecht irgendeine Lunte, ein alleinerziehender Kriminalpolizist mit Hang zu Melancholie ermittelt ein bisschen vor sich hin, die lokalen Geschäftsfrauen haben alle ein bisschen was zu verbergen und die DDR-Vergangenheit taucht auch noch auf. Irgendwann findet sich der Täter, zwischen Mord und Aufklärung vergehen nicht einmal drei Wochen, genauer gesagt passiert die ganze Geschichte zwischen 6. und 23. August. Jedem Tag wird ein Kapitel gewidmet. Das suggeriert eine einigermaßen kompakte und stringente Handlung, die aber durch die Fülle an Personen, die alle irgendwas zu denken, zu sagen und zu handeln haben, einfach nicht vom Fleck kommt. Natürlich geht das Leben im Kiez irgendwie weiter, die Wogen glätten sich wieder, zumindest bis zum 12. September, dem letzten Tag in den Pankower Verstrickungen.

Leider tut die überdeterminierte Verdachtslage in den "Verstrickungen" dem Roman nichts Gutes. Es bleibt zu wenig Zeit, um die handelnden Personen, die übrigens millieubedingt durchwegs auf entsprechend schicke Namen hören, auch etwas besser in ihren Motivationen zu verstehen. Oft wird innerhalb eines Kapitels die Perspektive gewechselt, und weil es kein Personenverzeichnis gibt, braucht es eine Weile, um sich zu orientieren, wer hier gerade handlungstechnisch am Zug ist. Im Wesentlichen jagt ein Klischee das nächste, das wirkt oft so, als ob hier jemand mindestens zwei Runden im Regionalkrimi-Bingo gewinnen wollte. Die Konkurrenz in diesem Genre ist ja inzwischen schon erdrückend, gerade was Berlin betrifft. Ob man so allerdings LeserInnen begeistern kann, die nicht gerade in Pankow wohnen, sei dahingestellt. Neben der für einen Krimi wenig spannenden Handlung, finden sich auch einige stilistisch fragwürdige Metaphern ("die Hüften der Frau wirkten so zerbrechlich wie die einer Gazelle", S. 87) und die konsequente Verwendung des weiblichen Artikels für den Caffè Latte, was mitunter zu - hoffentlich nicht beabsichtigen - sprachlichen Zweideutigkeiten führt: "Sie versuchte sich an ihrer Latte festzuhalten" (S. 132)

"Verstrickungen" ist ein Buch, das Lokalchronik, Milieustudie und Krimi zugleich sein will. Gegen diese Kombination spricht prinzipiell auch nichts, das gelingt aber nur solchen AutorInnen, die dem Personal, das ihre Geschichten bewohnt, mehr Tiefe und Komplexität erlauben.

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