Königin im Exil

von Gardner Dozois, George R. R. Martin (Hrsg.)
Rezension von Stefan Cernohuby | 26. Juli 2015

Königin im Exil

Im deutschsprachigen Raum hat sich das Konzept von Anthologien nie vollständig durchsetzen können. Verschiedene Kurzgeschichten unterschiedlicher Autoren zu einem gemeinsamen Thema – das kann hierzulande nicht jeden überzeugen. Man kann das Konzept allerdings noch mehr ausreizen, nämlich mit Kurzromanen unterschiedlicher Autoren. So auch in der Anthologie „Königin im Exil“, die starke weibliche Protagonistinnen im Fokus hat. Interessant ist allerdings, dass das Werk in diesem Fall von George R. R. Martin und Gardener Dozois herausgegeben wurde.

Das Konzept von starken Frauen in der Literatur ist nicht neu, wurde aber in bestimmten Genres (zum Beispiel historischen Romanen) über die eigentlich verträgliche Kapazität ausgewalzt. In „Königin im Exil“ finden sich allerdings zahlreiche Starautoren, Shooting-Stars und mögliche Größen der Zukunft, die das Thema in zahlreichen unterschiedlichen Genres behandeln und auch sehr verschieden interpretieren. Da ist Joe Abercrombie, der mit „Welch ein Desperado!“ eine Rolle in einem Western ganz anders vergibt. Megan Abbot schreibt über eine Frau, der keiner glauben will – und vor der man erst Respekt und Angst hat, als es beinahe zu spät ist. Die titelgebende Geschichte stammt von Cecilia Holland, die von einer historisch tatsächlich existierenden Familie schreibt, die von Macht besessen und verdorben wurde, auch deren Frauen – oder besonders deren Frauen. Melinda N. Snodgrass schreibt von einer Frau, die im Hintergrund bleibt, aber nur fast bis zum Ende der Geschichte. John R. Landsdale schreibt mit „Ringen mit Jesus“ eine fantastische Mär über eine Frau, die wie eine übernatürliche Trophäe gehandhabt wird, obwohl sie eigentlich aus Fleisch und Blut ist. Diana Gabaldon, bekannt für ihre historischen Highland-Saga, erzählt einiges von der Vorgeschichte zweier wichtiger Charaktere. Pat Cadigan erzählt vom Retten von Leben an Orten, an denen das Leben normalerweise endet. Caroline Spector erzählt erfreulicherweise die Geschichte aus dem letzten „Wild Cards“-Werk weiter, das Verfasser dieser Kritik direkt zuvor gelesen hat (Danke, Caroline!) und George R. R. Martin nutzt die Gelegenheit um eine weitere früh angesiedelte Geschichte rund um den Targaryen-Thronfolgekrieg in der Welt von „Ein Lied von Feuer und Eis“ zu erzählen.

Wie immer bei einer Zusammenstellung verschiedener Geschichten gibt es Licht und Schatten. Gerade die Geschichten von John R. Landsdale, Caroline Spector machen das Buch bereits lesenswert. Fans von George R. R. Martin dürfen sich auf ein weiteres Fragment der Geschichte von Westeros freuen, auch wenn sie bereits sehr lange zurückliegt. Einziger Wermutstropfen hier, das Werk ist sehr lang und vor allem relativ trocken geworden. Die wenigen Negativbeispiele, wie etwa Lawrence Blocks Geschichte „Ich weiß, wie man sie rauspickt“ – eine sicherlich bereits mehrfach dagewesene und nicht wirklich originelle Geschichte über Mord und Suggestion –, fallen zum Glück nicht allzu schwer ins Gewicht. Insgesamt hat man einen Band vorliegen, wie man ihn hierzulande bisher noch selten hat kaufen können. Über 1000 Seiten unterschiedlicher Kurzromane in größtenteils guter Qualität kann man im Grunde nur empfehlen. Der Preis von knapp 17 Euro ist auch als Taschenbuch völlig angemessen. Das Werk ist daher so gut wie jedem zu empfehlen, nicht nur Feministinnen oder Fans von George R. R. Martin.

„Königin im Exil“ ist nicht nur der Name einer von 21 Kurzromanen, die in einem Buch lesbar sind, sondern auch der Titel des Werks selbst, das von George R. R. Martin und Gardener Dozois herausgegeben wird. Da die Kurzromane selbst überwiegend gut sind, der Preis des Buchs völlig in Ordnung ist und darüber hinaus noch ein weiteres Fragment aus „Das Lied von Feuer und Eis“ enthalten ist, können wir das vorliegende Werk empfehlen.

Details

Bewertung

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