Dicht


Aufzeichnungen einer Tagediebin
von Stefanie Sargnagel
Rezension von Stefan Cernohuby | 14. Dezember 2020

Dicht

Die Jugend ist eine Zeit, in der man vieles lernt, neue Erfahrungen macht und in der sich die eigene Persönlichkeit erst zu entwickeln beginnt, weg von den überlieferten Werten, hin zu dem, was man selbst aus dem Alltag destilliert. Stefanie Sargnagel berichtet in ihrer Jugendbiografie "Dicht" von Erlebnissen, Entscheidungen, Ausschweifungen und vor allem von Freundschaften.

Autorität, starre Konzepte und strikte Erwartungshaltung sind nicht mit Stefanie und Sarah kompatibel. Die beiden haben viele Ideen, viele Feindbilder und wenige Freunde, die ihre Einstellungen teilen. So suchen die beiden Freundinnen Abwechslung von der Schule, kleine Rebellionen, die mit dem Rauchen von Zigaretten und dem Besuch fragwürdiger Lokale beginnen. Dort kommen sie mit Menschen in Berührung, die in unterschiedlichen Stadien von Resignation leben. Und doch lernen sie dabei auch interessante Charaktere kennen. Leute, die man über Jahrzehnte immer wieder trifft. So wie König Mao, der zur Runde der Tagediebe im Votivpark dazugehört. Es geht durch unterschiedliche Lokale, nach Alkohol kommt irgendwann etwas zum Rauchen dazu und später auch ein Ausflug mit Lucyin die Sterne mit Diamanten, was aber eher zur Bruchlandung wird.
Während ihrer Eskapaden lernen die Mädchen schließlich den Michi kennen. Der aidskranke, gebildete Philosoph mit der Lebensmoral eines spitzbübischen Kindes wird zum Dreh- und Angelpunkt. Seine Gemeindebauwohnung ein Treffpunkt unterschiedlichster Persönlichkeiten, ein ‚Melting Pot‘ unterschiedlicher Kulturen, politischer Ansichten und verschiedenster Feiern. Das Leben geht weiter, die Schule geht weiter und alle schlagen irgendwann verschiedene Wege ein. Und auch für Stefanie Sargnagel kommt irgendwann der Punkt, an dem sie Entscheidungen treffen muss, wie sie ihr Leben weiter gestaltet. Geprägt von jenen Personen, die sie kennenlernt, sind ihre Entscheidungen, ihr Lebenswandel und ihr Umgang mit den Menschen – vor allem auch mit jenen am Rande der Gesellschaft – vieles, aber sicher nicht konventionell.

Sind es also wahre Orte, an denen Stefanie Sargnagel ihre Abenteuer erlebt hat oder haben sie so wenig Substanz wie Rauchgebilde unter THC-Einfluss, die von einem Windstoß zerfasern? Gab es die wirklich, diese Lokale in den 1990ern, die so schnell neu geöffnet und wieder geschlossen haben, dass man eigentlich erst von ihnen gehört hat, wenn sie schon wieder Geschichte waren? Das ist nur eine der Fragen, die sich andere Wiener gestellt haben, die fast im gleichen Alter waren, aber nie irgendwohin gegangen sind, wo irgendetwas Fragwürdiges passiert ist.Wiener, die zwar ab und zu durch den Votivpark marschiert sind, aber nur um sich die Beine zu vertreten, um dann die 43er-Straßenbahn nach Hernals zu nehmen, um dort an den gleichen Gassen und fragwürdigen Etablissements vorbei in die gleiche Geblergasse zu spazieren, um dort im Turnsaal des Gymnasiums Fußball zu spielen.
Ein Blick hinter die Kulissen eines anderen Wiens, als es der durchschnittliche Wiener kennt, ist nie erfolgt, dieser wird hier von Sargnagel nachgeliefert. Sie illustriert deutlich, wie viele gescheiterte Existenzen es in Wien gibt, wie viel Schönheit und Philosophie man gleichzeitig in dieser Gesellschaft finden kann – manche finden sogar die große Liebe, wenngleich nicht die Erzählerin selbst. Das Werk ist Biografie, Szenebericht und gleichzeitig eine Liebeserklärung an einen mittlerweile verstorbenen Freund und Mentor, den erwähnten Michael „Michi“ Stanger, der für viele Menschen ein Anker war. Es ist ein persönliches Buch, das hauptsächlich vor jener Zeit angesiedelt ist, in der Sargnagel im Call-Center gearbeitet hat und für deren Anekdoten man die Autorin bereits kennt. Ob man als Leser/innen jetzt etwas aus diesem Lebensabschnitt mitnehmen kann, ist eine Frage, die jeder für sich beantworten muss, denn von derartigen Erfahrungen zu lesen, ist vermutlich nur die halbe Miete.

Dicht von Stefanie Sargnagel ist größtenteils Autobiografie, teils Autofiktion, in der die Autorin ihre Jugendjahre, ihren Widerwillen gegen Autorität, System und starre Strukturen demonstriert und dokumentiert. Sie erzählt von Experimenten, surrealen Begegnungen, intensiven und langjährigen Freundschaften und Entscheidungen, die ihr Leben geprägt haben. Für viele Leser/innen kann dies eine völlig neue Perspektive bedeuten – ob diese jedoch für sie relevant ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Details

  • Verlag:
  • Genre:
  • Erschienen:
    10/2020
  • Umfang:
    256 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • Altersempfehlung:
    16 Jahre
  • ISBN 13:
    9783498062514
  • Preis (D):
    20,00 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Anspruch:
  • Humor:
  • Gefühl: