Wir sind die Guten: Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren

von Mathias Broeckers, Paul Schreyer
Rezension von Elisabeth Binder | 15. Dezember 2014

Wir sind die Guten: Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren

Wie sich anhand des Titels leicht erraten lässt: Die "Guten" sind die "Obamaversteher" und eigentlich die "Bösen". Mit dem Titel ist dann auch schon das Ende der Ironieausbaustrecke erreicht. Was folgt ist ein journalistisches Projekt, das an seinem Ehrgeiz scheitert. Die beiden Autoren versuchen einfach zu viel auf einmal: Medienkritik, historische, geopolitische und politische Analyse, dargestellt am Beispiel der Ukraine.

Die Grundidee ist schnell erzählt: Die USA mit ihrem deklarierten Willen zur "full spectrum dominance" (eine real existierende, aber von Experten als ebenso unrealistisch eingeschätzte, US-Militärdoktrin, ähnlich wie anno dazumal SDI), also zur Unterwerfung der Welt unter ihre militärisch-politisch-wirtschaftliche Kuratel, provozieren eine Destabilisierung der Ukraine als Mittel zum Zweck, um das rohstoffreiche Russland, das unter der starken Hand Putins aus dem Würgegriff der Oligarchen befreit wurde, unter Druck zu setzen und unter den Einfluss der eigenen Machtsphäre zu bringen, um an billige Rohstoffe zu gelangen. Und, wie der Untertitel des Buches andeutet: Die Medien spielen (zu) eifrig mit.

Diese These versuchen die Autoren kaleidoskopartig in 15 Kapiteln zu untermauern: Da gibt es den obligatorischen historischen Abriss zur Ukraine (eigentlich immer schon ein "Fehlkonstrukt" als Staat...); den anhaltenden Pipelinekrimi; die Berichte aus den informellen Zentren der Macht (allerdings nur jene westlich des Atlantiks, was unter anderem auch daran liegen könnte, dass die Autoren besser Englisch als Russisch lesen können) sowie das eine oder andere Kapitel, das sich tatsächlich kritischen mit den im Untertitel erwähnten Medien auseinandersetzt. Das liest sich alles sehr flüssig und kurzweilig. Allerdings wurde ich mit fortschreitender Lesedauer ein unangenehmes Gefühl nicht los: Der kritische Standpunkt der Autoren gegenüber dem Mainstream der Berichterstattung wird von ihnen ebenso eindimensional vorgetragen wie das Objekt der Kritik. Für die Fülle an Fakten und Ereignissen, die die Autoren rund um die historische und gegenwärtige Situation in der Ukraine ausbreiten, gibt es relativ wenig Hintergrundmaterial. Dem Hang zur Fußnote wird nur an wenigen Stellen nachgegeben, was für LeserInnen, die sich mit der Materie näher beschäftigen wollen, wenig hilfreich ist. Das Kapitel über die Geschichte der Ukraine kommt mit ganzen drei Fußnoten aus und das inkludiert ein Zitat aus einem Roman - also weniger als ein Hinweis auf weiterführende Literatur pro Jahrhundert. Insgesamt scheint es in vielen der Thesen eine gewisse inhaltliche Nähe und Überlappung zum Gesamtwerk des US-Journalisten William Engdahl zu geben, der aber nur an genau einer Stelle erwähnt wird.

Sehr ärgerlich ist, wie die Autoren an einigen Stellen schlampig-tendenziös formulieren, wenn die Argumente etwas zu dünn geraten. Da "lümmeln" Senatoren "entspannt in hohen Ledersesseln" (S. 97), wenn es darum geht die Stimmung im Auswärtigen Ausschuss des US Senats zu beschrieben. An anderer Stelle wird mit unfachmännischem Psychologisieren das Verhalten von einigen US Politikern und Politikberatern zu erklären versucht. Soziale Medien sind an einerseits die Guten (schnelle Verbreitung von alternativen Nachrichten, S. 19; Leserkommentare im Internet), andererseits eine unzuverlässige Informationsquelle (Absturz MH17). Ähnliches gilt für die Bild Zeitung: Oder das Kapitel zum Flugzeugabsturz der MH17 vom 17. Juli 2014. An dieser Stelle hatten die Autoren genau zwei Wochen Zeit, um die laufende Berichterstattung zu beobachten, da mit Ende Juli der Redaktionsschluss angesetzt war. Kaum verwunderlich daher, dass in dieser kurzen Zeit nur noch mehr "Beweise" für die Destabilisierungsthese gefunden wurden. Dieses journalistische Kleingeld hätten die Autoren eigentlich nicht notwendig.

Am überzeugendsten ist das Buch, wenn Bröckers und Schreyer mit der Verantwortungslosigkeit des eigenen Berufsstands abrechnen. Allerdings verlassen sie sich auch hier hauptsächlich auf die Forschungsergebnisse anderer als auf eigene Recherchen. Dass die altgedienten Chefredakteure der großen deutschen Zeitungen das journalistische Ideal der Unabhängigkeit in der Berichterstattung zugunsten einer Aufnahme in die Kreise der Meinungsmacher schon längst aufgegeben haben, wird von den Autoren schlüssig und ohne den sonst im Buch anwesenden leichten Hauch von Paranoia argumentiert. Die Selbstselektion und Selbstzensur, die in den Chefetagen der Leitmedien stattfindet, wird von den handelnden Personen schon längst nicht mehr wahrgenommen. Die Verklüngelung von Wirtschaft, Politik und Medien in einem "Meinungskartell" (S. 134) ist nicht nur auf Deutschland beschränkt, ähnliches kritisiert Glenn Greenwald in seinem jüngsten Buch "No Place to Hide: Edward Snowden, the NSA, and the U.S. Surveillance State" mit noch viel schärferen Worten.

Letztendlich gäbe es, wie im abschließenden Kapitel zu lesen ist, "die Guten" ja doch, nämlich diejenigen, die ihr politisches Gewicht gegen die "full spectrum dominance" für eine multipolare Welt einsetzen könnten. Ist es da noch eine Überraschung, dass gerade die Deutschen für diese Rolle prädestiniert sind? "Mitten in Europa kommt Deutschland deshalb eine Schlüsselfunktion zu, eine Alternative zu entwickeln gegen eine neue Politik der Stärke, die keine Perspektive hat - außer der nuklearen Apokalypse eines Dritten Weltkriegs." (S. 191).



(1) Spannendes Detail am Rande, Leserkommentare im Internet betreffend: Die beiden Autoren betreiben einen begleitenden Blog zum Buch und es gibt keinen einzigen negativen Kommentar. Kann das Zufall sein?

Details

  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    09/2014
  • Umfang:
    208 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • ASIN:
    3864890802
  • ISBN 13:
    9783864890802
  • Preis (D):
    16,99 €

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