Mein Algorithmus und ich

von Daniel Kehlmann
Rezension von Manfred Weiss | 07. April 2021

Mein Algorithmus und ich

Manche Texte wirken heute schon, wie von Computerprogrammen geschrieben. Zeit also für einen Versuch, ob es wirklich schon so weit ist; ob Computer nicht nur die besten Schachspieler der Welt schlagen können, sondern auch schon bald für den Literaturnobelpreis im Gespräch sein werden.

“Mein Algorithmus und ich” ist die in Buchform gefasste Dokumentation einer Rede, die Daniel Kehlmann im Rahmen des Literaturhauses Stuttgart im Februar 2021 gehalten hat. Darin beschreibt er seine Erfahrungen im Zuge der literarischen Zusammenarbeit mit einem Computerprogramm. Jeder Computer/jedes Programm braucht, damit man ihn einfacher wahrnehmen kann, einen Namen. Der Computer, beziehungsweise das Programm, mit dem Daniel Kehlmann bei seinem literarischen Versuch kollaborierte, heißt CTRL. Und was sie gemeinsam zuwege gebracht haben ist durchaus lesenswert.

Ein Algorithmus namens CTRL

Die Zusammenarbeit von Autor und Algorithmus ist unterhaltsam und oft sehr humorvoll beschrieben. Die gemeinsam geschaffenen Werke - ja, es sind mehrere, wenn auch kurze - entbehren nicht einer gewissen Spannung und manchmal auch Absurdität. Mehr als ein gemeinsames Schreiben ist das gemeinsame “Schaffen” ein Dialog zwischen Autor und Programm. Daneben erläutert Daniel Kehlmann aber auch sehr anschaulich, wie dieses Schreiben bei seinem Partner CTRL grob schematisch funktioniert; also wie denn nun eigentlich ein Programm schreiben lernt, respektive viel mehr als bloßes schreiben, sondern auch eine Geschichte zu erzählen.
Natürlich “schreibt” CTRL auf Englisch, der Autor war zur Kontaktaufnahme mit dem Algorithmus ja im für seine Technikaffinität und seinen Forschergeist bekannten Silicon Valley in Kalifornien. Aber selbstverständlich ist CTRL ein Algorithmus, der von überall erreichbar ist und keine persönliche Anwesenheit vor Ort erfordert. Und auch die Sprache, die er verwendet, ist weniger vorgegeben als man es annehmen mag.

Die digitale Konkurrenz wächst selbstständig

Im Rahmen des Buches werden berühmte Computerprogramme der Filmgeschichte wie HAL 9000, der Computer aus “2001-Odyssee im Weltraum”, ebenso erwähnt, wie der Roboter aus “Nummer 5 lebt” oder “Wall-E” aus dem Pixar-Film, der vor einigen Jahren im Kino begeistert hat. Dieses sich Vorstellen einer Persönlichkeit im Computer, im Programm, ist etwas, das den Autor in seiner Zusammenarbeit mit CTRL ebenso bewegt, wie die Frage, warum es scheinbar in der Natur des Menschen liegt, genau nach dieser Individualität zu suchen.
Auch wenn das Buch als Rede konzipiert ist, ist es unterhaltsam geschrieben und spannend zu lesen. Vor allem in den Passagen zu den gemeinsam mit CTRL erstellten Texten kann man das Lachen des Publikums fast hören.
Aber Daniel Kehlmann weiß und betont es auch, dass all das nur ein Anfang ist, dass es gerade im Schreiben von kreativen Texten noch ein Stück Weg ist, bis Programme hier die Fähigkeiten eines Menschen erreichen werden. Nichtsdestotrotz werden bald auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Konkurrenz mit ihren digitalen Kollegen geraten. Vor allem, wenn die Programme sich letztlich selbstlernend ständig verbessern.

“Mein Algorithmus und Ich” ist ein unterhaltsamer und spannender Versuch eine mögliche Zukunft in der Erstellung literarischer Texte bereits heute auszuprobieren. Es ist weniger eine mit, als eine über den Algorithmus, mit dem Daniel Kehlmann kollaboriert hat, geschriebene Geschichte. An vielen Stellen darf geschmunzelt, an manchen auch gebangt werden. Aber über kurz oder lang werden wir sicher noch mehr von CTRL oder seinen Nachfolgern lesen.

Details

Bewertung

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  • Anspruch:
  • Humor: