Anleitung zum Unkreativsein


Auf anderen Wegen zu neuen Ideen
von Dirk von Gehlen
Rezension von Michael Seirer | 27. September 2021

Anleitung zum Unkreativsein

Wer kenn es nicht: Ein Projekt benötigt dringend einen neuartigen Ansatz, eine kreative Lösung. Je länger man daran “arbeitet”, desto weniger will sich eine solche einstellen. Gern genutzte Ausrede ist dann: Man wurde halt nicht von der Muse geküsst, was soll man da machen? Dirk von Gehlen ist mit seinem Buch “Anleitung zum UNkreativ sein” angetreten, diese durchaus Stress verursachende Situation zu verändern und dem Leser sozusagen “auf die Sprünge zu helfen”.

Kreativität ist im Buch als das “Finden und Gestalten neuer, möglichst brauchbarer Lösungen” definiert. Es fokussiert also nicht nur auf den Schöpfungsakt (lat. creare), sondern auch auf den eher passiven Aspekt der Kreativität, bei dem es um das Wachsen und Gedeihen von Ideen geht. Ein Bereich der gerne übersehen wird. Das Buch teilt sich in vier große Abschnitte: Präparation, Inkubation, Illumination, Verifikation. Alle werden von einer Doppelseite eingeleitet, auf denen sich - angelehnt an das bekannte “Anleitung zum Unglücklichsein” von Paul Watzlawick - konkrete und strikt zu befolgende Richtlinien finden, mit denen es garantiert zu keiner Eingebung kommt. Vermutlich um den unaufmerksamen Leser nicht zu verunsichern, wurden die entsprechenden Seiten durch eine durchgehend orange Hintergrundfarbe markiert.

Im Abschnitt “Inkubation / Entstehung” wird das Wort als Akronym gedeutet und mittels der einzelnen Wörter (“Inversion”, “Nachfragen”, “Kombination”, “Urteile nicht!”, “Begrenzungen”, “Anprobieren”, “Teillösungen”, “Interdisziplinäres Denken”, “Orte zum Denken” und “Namen geben, die zu etwas anderem gehören”) erläutert. 

“Illumination” In diesem Abschnitt geht es um den vermeintlich zufällig entstehenden Geistesblitz, der leicht übersehen werden kann. Die eigentliche Leistung ist also aufmerksam bleiben, Dinge geschehen und durch Ritualisierung zur Gewohnheit werden lassen. Als Methode wird das Default Mode Network vorgestellt, welches eben nur aktiv wird, wenn wir uns gerade mit nichts Besonderem befassen. “Design Thinking” wird ebenfalls gut verständlich als Methode vorgestellt. 

Im Abschnitt “Verifikation“ schließlich wird aus der gewonnenen Idee eine Lösung entwickelt. Dabei wandelt sich das Denken vom divergenten zum konvergenten. Insbesondere die Ratschläge aus „Wie man eine Organisation von innen lahmlegt“ vom CIA aus dem Jahre 1944 (!!!) werden Leser*innen, die in größeren Unternehmen arbeiten, sehr bekannt vorkommen. Der Autor beschreibt, dass Ideen oft an sich gut sind, aber im falschen Kontext nicht funktionieren. Als spannende Beispiele dafür werden der Legostein und der Reißverschluss angeführt.
In der Realität sind die vier Phasen bei der Ideenfindung nie so strikt wie im Buch getrennt und erkennbar. Trotzdem ermöglicht das Lesen des Textes den eigenen Blick auf eine Metaebene zu heben und damit bessere Übersicht zu erlangen. Sehr viele Buchreferenzen ermöglichen das Eintauchen in die vorgestellten Ideen. Dafür wurde auch ein praktisches und einfaches System für Internetlinks mittels Url-Shortener verwendet. Der Text ist relativ dicht, auch wenn er durch einige Übungen aufgelockert ist. Man wird dem Buch insofern nicht gerecht, wenn man es schnell von vorne bis hinten durchliest. Vielleicht ist es am besten, wenn man es querliest, sich einige Übungen markiert und immer wieder mal vorbeischaut. Gekonnt werden bekannte und auch unbekanntere Episoden aus Mythologie und Geschichte eingeflochten und Kernaussagen auf den Punkt gebracht. Beim Lesen der orangenen Seiten ertappt man sich vielleicht hin und wieder einmal dabei, die beschriebenen Dinge selbst gemacht zu haben und es wird plötzlich klar, was man einer guten Idee damit angetan hat.

„Anleitung zum Unkreativsein“ erzählt kurzweilig und mit vielen Referenzen zu Büchern und Webseiten wie man selbst neue Perspektiven findet und Ideen auf die Welt bringt. Dem Leser wird klar, dass die Welt nicht in Kreative und Unkreative eingeteilt ist und man damit leben muss, wenn man glaubt zur zweiten Kategorie zu gehören. Viele Beispiele von heute bekannten Erfindungen zeigen wie verschlungen die Wege einer Idee sein können und wie sehr Kontext im Rahmen der Realisierung eine wichtige Rolle spielen kann. Die eingestreuten Übungen sind direkt anwendbar und können in konkreten Situationen weiterhelfen. Der Text ist dabei so dicht, dass man das Buch wohl immer wieder zur Hand nehmen wird und sollte.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Anspruch:

Könnte Ihnen auch gefallen: