Der schlaflose Cheng


Sein neuer Fall
von Heinrich Steinfest
Rezension von Elisabeth Binder | 26. Mai 2019

Der schlaflose Cheng

Neun Jahr nach seinem "letzten Fall" ist Markus Cheng, der einarmige Detektiv aus Wien mit oberflächlichen chinesischen Wurzeln, mit einem "neuen Fall" beschäftigt. Für den Grund seiner Auferstehung gibt es wenig Indizien, außer wohl die Vermutung, dass Heinrich Steinfest die Figur, die am ehesten sein Alter-Ego sein könnte, aus seinem Roman-Universum doch nicht ganz verschwinden lassen wollte. Andeutungen dazu gab es bereits in dem zuletzt erschienen Roman "Die Büglerin".

Markus Cheng lebt also noch immer Wien und geht dem Detektieren mehr als Hobby denn als Beruf nach. Eine Erbschaft eines verstorbenen Klienten in Form eines wertvollen Gemäldes aus der Renaissance, das er an einen kunstsammelnden Amerikaner in Leibrente vermietet, ermöglicht ihm den Umzug in eine bequeme Altbauwohnung und die Anstellung einer Sekretärin, die sich im Laufe des Romans als die bessere Detektivin erweist. Was ihm, dem Mitt-Fünfziger, jedoch zunehmend fehlt ist der Schlaf. Seine Schlaflosigkeit wird allerdings an neuralgischen Punkten im Geschehen durch einen fortgesetzten Traum, in dem Cheng noch einmal eine jugendliche Verliebtheit erleben darf, unterbrochen. So gesehen ist das ein beschauliches Leben, allerdings ohne den gewohnten Hund Lauscher, der nicht mehr lebt, dessen Aura ihn aber noch immer umgibt. Hin und wieder wird dieser beschauliche Alltag durch Spontanurlaube unterbrochen, wie beispielsweise jenem in Mallorca. Im Hotel verbringt er mit dem bekannten Synchronsprecher Peter Polnitz einen Abend an der Bar. Ein paar Monate nach seiner Rückkehr in Wien erreicht ihn die Nachricht, dass Peter Polnitz des Mordes an dem britischen Schauspieler Andrew Wake, für dessen deutsche Synchronstimme er bekannt wurde, angeklagt wurde. Nach einem Arbeitstreffen der beiden in einem Londoner Nobelhotel hatte man Wake tot aufgefunden. Der Verdacht fiel auf Polnitz weil dieser angeblich eine asiatische Kampfkunst beherrsche, die mit Zeitverzögerung wirke. Die Tochter von Polnitz bittet Cheng um detektivische Unterstützung bei der Verteidigung des Vaters. Zunächst wird er aber mit der Schuldhaftigkeit seines Auftraggebers konfrontiert. Peter Polnitz, so gesteht ihm dieser bei einem Besuch im Gefängnis, sitzt nicht zum ersten Mal ein. Er hat eine schlimme Jugendsünde begangen, die zunächst auf mysteriöse Weise mit dem Mord in Zusammenhang steht.

Von da an sei nicht mehr von der Handlung verraten, außer, dass es Cheng gelingt, die verschlungenen und mysteriösen Spuren rund um den Mord aufzudecken. Der Weg dahin ist, wie immer bei Steinfest-Krimis, verschlungen, aber im Vergleich zu den bisherigen Fällen fast schon, was die Handlungsgetriebenheit und Logik betrifft, zu nahe an handelsüblicher Krimiware. Die Motivation hinter dem Verbrechen, die Cheng in seiner träumerischen Sicherheit entdeckt, ist jedoch eine äußerst moralische. Hier setzt sich das Thema der Buße, das Steinfest bereits in der "Büglerin" beschäftigt hat, fort. Diesmal allerdings mit anderen Vorzeichen, nämlich was passieren kann, wenn jemand für seine eigenen Vergehen nicht büßen kann oder will und schließlich selbsternannte Rächer an ihrer Gerechtigkeit scheitern. Die Geschichte endet in einem an Mary Shelleys Frankenstein angelehnten Showdown in Grönland, den Cheng aus der Ferne beobachtet und kommentiert. Er hätte nun also Zeit, sich seinem nächsten Fall zu widmen, auch wenn im Klappentext behauptet wird, dass es ziemlich sicher der letzte sein wird.

"Der schlaflose Cheng" ist kriminalistisches Slow-Food, das über genau die richtige Mischung von Handlung und philosophisch-literarischer Reflexion verfügt. Genau das richtige für die Überbrückung schlafloser Nächte.

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Bewertung

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