Manchmal sagen Eltern und Kinder gleichermaßen Dinge, die nicht so gemeint sind, wie sie ausgesprochen werden. Zum Beispiel, dass man einander nach einem Streit nie wiedersehen will. In der Romanversion von Boris Kochs Werk „Das Schiff der verlorenen Kinder“ hat eine solche Aussage jedoch durchaus Konsequenzen. Und ja, ein Schiff hat damit zu tun.
Als sich Leo wieder einmal mit seiner Mutter streitet und ohne Essen auf sein Zimmer geschickt wird, fallen harte Worte. Sein Bruder Felix, der sich ebenfalls in seinem Zimmer befindet, möchte in die Auseinandersetzung nicht hineingezogen werden, ist aber ebenfalls mit dabei, als der Blick aus dem Fenster plötzlich einer aus einem Bullauge ist. Von einem Moment auf den anderen befinden sich die beiden auf einem riesigen Schiff, auf dem sich nicht nur unzählige Kabinen, sondern auch Monster befinden. Nach einer Auseinandersetzung mi einem Werwolf treffen sie erst auf das Mädchen Chrissy und dann auf Asra, die sich in einem Labyrinth aus Schächten abseits der Gänge ein Zuhause eingerichtet hat. Von ihr erfahren sie, dass sie auf einem Schiff namens „Seelenfänger“ sind, das einst von Monstern übernommen wurde und nun auf einem ewigen Kurs durch die Nacht ist. Alles erscheint hoffnungslos. Doch Leo sieht sich selbst als wehrhaften Bären und will zurückschlagen. Nachdem Felix – möglicherweise weil er unabsichtlich an Bord des Schiffes ist – die Fähigkeit offenbart, wie durch Magie aus alltäglichen Gegenständen wirkungsvolle Werkzeuge und Waffen zu erschaffen, beginnen die vier, langsam Schritte gegen die Monster zu unternehmen, welche die Kinder versklavt haben und ganz nach Belieben quälen.
Eine Fahrt auf einem riesigen, uralten Schiff durch eine endlose Nacht ist ein Szenario, das schon allein angsteinflößend ist. In ständiger Gefahr durch verschiedenste Monster, mit unbekanntem Reiseziel und angesichts permanenter Gewalt und Folter, wird die Situation für die Charaktere nicht einfacher. Da kommt es durchaus gelegen, dass Felix über besondere Fähigkeiten verfügt und seine Worte sowie sein Verstand Dinge bewirken können. Das ist etwas, das beim Lesen Hoffnung verleiht, obwohl die Situation trotz dieses Talents immer noch ausweglos erscheint. Doch die wahre Aufgabe für sie ist, sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen. Diesbezüglich müssen sich sowohl die Charaktere als auch die Lesenden im Laufe der Handlung die richtigen Fragen stellen und ihre Schlüsse daraus ziehen. Dann kann man verstehen, wie die Welt funktioniert, in welcher die Geschichte angesiedelt ist. Eine Geschichte, die ursprünglich gemeinsam mit Frauke Berger als Illustratorin als Graphic Novel erschienen ist und dafür auch den Krefelder Preis für Fantastische Literatur 2023 gewonnen hat. Zurecht! Denn auch wenn der vorliegende Roman nicht alle gestellten Fragen beantwortet und alle Handlungsfäden zu einem endgültigen Ende führt, ist das Werk doch sehr gelungen und kann sowohl von Jugendlichen wie Erwachsenen gelesen werden. Wer einen Hang zu phantastischen Werken mit einem gewissen Schauerfaktor hat, wird hiermit sicherlich seine Freude haben.
„Das Schiff der verlorenen Kinder“ ist nach der Graphic Novel nun als Romanversion im Heyne Verlag erschienen. Boris Koch, der gemeinsam mit Frauke Berger für das Werk schon 2023 den Krefelder Preis für Fantastische Literatur erhalten hat, beweist hier, dass die Geschichte auch ohne Illustrationen bestehen kann. Wer gute Fantasy mit einer Spur Grusel mag, ist hier auf keinen Fall falsch.
Details
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Erschienen:10/2025
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Umfang:544 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783453275102
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Preis (D):24,00 €
