Das Kind mit den stummen Augen

von Lena Rohn, Chris Nonnast (Sprecher*in)
Rezension von Janett Cernohuby | 14. Juli 2025

Das Kind mit den stummen Augen

Erlebnisse aus der Kindheit begleiten uns ein Leben lang, bestimmen darüber, wie wir uns entwickeln und welchen Weg wir einschlagen. Kinder, die Leid und Kummer erfahren haben, tragen dies ihr Leben lang mit sich. Manch einer kann darüber reden, manch einer verdrängt es. Doch irgendwann werden sie von der Vergangenheit eingeholt und alte Wunden reißen auf. Besonders dann, wenn man das Erfahrene nie aufgearbeitet hat.

Ein altes Familiengeschäft…

Vor diesem Punkt stehen Theresas Mutter Inga und Tante Martha. Die Frauen betreiben ein Teehandelshaus, das seit mehreren Generationen der Familie gehört. Doch die Zeiten stehen schlecht, die Kundschaft bleibt aus und vor allem Theresa befürchtet, dass ohne Veränderungen der Laden bald geschlossen werden muss. Doch ihre Mutter und Tante lehnen alle Vorschläge ab, lediglich der Idee eines Artikels über die Geschichte des Teehauses stimmen sie zu. Also beginnt Theresa zusammen mit dem Journalisten Jonas van Bergen mit der Arbeit an dem Artikel. Im Zuge der Recherchearbeiten stoßen sie auf alte Familienfotos und Dokumente, die auf eine zweite Schwester ihrer Mutter hindeuten. Theresa ist auf ein gut gehütetes Familiengeheimnis gestoßen, das nur sehr langsam zutage tritt.

…und ein gut gehütetes Familiengeheimnis

Und das aus gutem Grund. In den 1960-iger Jahren waren die Schwestern auf Kinderkur in einem Heim im Teutoburger Wald. Doch wo die Kinder Erholung finden sollten, trafen sie auf Strenge, Härte und schwarze Pädagogik. Bereits bei der Ankunft lag eine bedrückende Stimmung über allem, die sich in den folgenden Wochen verschlimmern sollte. Gewalt, sowohl psychisch als auch physisch, standen auf dem streng durchtakteten Tagesplan. Mahlzeiten, Toilettenzeiten, Spielzeiten, Kurbäder - alles erfolgte in einer vergifteten Atmosphäre der Angst. Kinder wurden gegeneinander ausgespielt, Pädagoginnen legten eine unglaubliche Unbarmherzigkeit an den Tag und lebten ihre Machtposition den Kindern gegenüber aus. Briefe wurden kontrolliert, es wurde diktiert, was geschrieben werden durfte. Inga und Martha versuchten auf ihre eigene Art mit der Situation umzugehen, die kleine Schwester ging völlig verloren. Bis es zur unausweichlichen Tragödie kam.
Und dann? Nachdem die Mädchen wieder bei ihren Eltern waren? Wie ging es dann weiter? Jedenfalls nicht mit der Wahrheit. Zwar bemerkte das Umfeld sehr wohl, dass sich die Schwestern verändert haben, doch geglaubt wurde ihren Schilderungen nicht. Und so fing Martha an, das Erlebte zu vergessen und Inga, es zu verdrängen. Bis zu jenen Recherchen von Theresa, die alles wieder hochholen und die vor allem Inga endlich dazu bringen, mit den furchtbaren Erlebnissen abzuschließen.

Erschütternd und bewegend

Lena Rohn erzählt in ihrem Roman von einem erschütternden Kapitel in der deutschen Geschichte. Kinderverschickungen waren nichts Ungewöhnliches, doch was sich hinter den Mauern der Anstalten abspielte, wurde nicht wahrgenommen. Warum? Weil man Kindern nicht glaubte. Weil man ihnen unterstellte, manipulativ zu sein, anderen Böses zu wollen und zu lügen. Es ist einfach unbeschreiblich, was in diesem Roman erzählt wird. Noch erschreckender ist es, dass sich dieses so und ähnlich abgespielt hat. Dass Kinder gezwungen wurden, ihr Erbrochenes zu essen. Dass ihnen gedroht wurde, sie emotional gebrochen wurden und das alles unter dem Deckmantel einer Kur. Umso wichtiger ist es, dass diese Geschichte hier erzählt wird. Dass all den Kindern durch dieses Buch eine Stimme gegeben wird, damit ihr Leid nicht vergessen wird, sondern endlich aufgearbeitet wird.

„Das Kind mit den stummen Augen“ ist ein erschütternder und zugleich berührender Roman über ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte. Unter dem Deckmantel einer Kur wurden im Nachkriegsdeutschland Kinder in Kurheime verschickt, wo sie anstatt sich zu erholen, gebrochen und misshandelt wurden.

 

Details

Bewertung

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