Atlas der nie gebauten Bauwerke


Eine Geschichte großer Visionen
von Philip Wilkinson
Rezension von Manfred Weiss | 04. Dezember 2018

Atlas der nie gebauten Bauwerke

In einer Welt, in der die Menschen mobiler und mobiler werden, die Reisen uns mehr und mehr in fremde Städte und Länder führen, steht man immer wieder vor neuen, großartigen Gebäuden. Fotoapparate werden gezückt und Speicherkarten mit all den Bildern fremder, exotisch wirkender Bauwerke gefüllt. Der "Atlas der nie gebauten Bauwerke” nimmt uns mit auf eine Reise, die wir real nie machen können, zu Bauwerken, die wir außer auf Skizzen, in Modellen nie sehen werden. Der Fotoapparat darf zuhause bleiben. Er sieht nicht, was wir sehen.

Philip Wilkinson stellt in seinem Buch fünfzig nie gebaute Bauwerke oder mehr noch, fünfzig nie oder nie in der beschriebenen Form verwirklichte architektonische Konzepte vor. Manche dann doch in anderer Art, zu anderer Zeit, an anderem Ort zumindest ansatzweise realisiert. Die beschriebenen Pläne spannen einen weiten Bogen, von Klosterbauten im 9. Jahrhundert bis zu städtebaulichen architektonischen Konzepten des 21.Jahrhunderts.

Der Elefant am Champs-Elysees

Die Fülle des Materials für dieses Buch muss erdrückend gewesen sein. Bei jedem Architekturwettbewerb gibt es so viel mehr Einreichungen als letztlich realisierte Bauwerke. Und wie oft ist es der Fall, dass letztlich nicht das Werk des Wettbewerbsgewinners umgesetzt wird, sondern ein machbareres, wenn auch weniger spektakuläres Konzept.
Insofern ist dieses Buch eine Art Phantasiebuch, das teils großartige, teils skurrile, teils futuristische, teils weit über ihre Zeit hinausreichende Pläne vorstellt.
Skurril scheint aufs erste beispielsweise der Entwurf aus dem 18.Jahrhundert in Paris am Ende der Champs-Elysees einen Triumphbogen in Form eines Elefanten zu errichten. Der Plan wurde damals verworfen und doch macht es Spaß sich vorzustellen, wie die Stadt aussehen würde, wenn das damals so umgesetzt und nicht der vergleichsweise reduziertere Arc de Triomphe gebaut worden wäre. Aber mehr noch ist es spannend sich zu überlegen, was das eventuell für Auswirkungen auf Bauwerke in anderen Städten gehabt hätte, wenn solche figürliche Formen in der Architektur akzeptabel geworden wären.

Architekt, Baumeister und Financier

Philip Wilkinson beschreibt alle ausgewählten Pläne kurz und kompakt und doch auch mit Hintergrund zur jeweiligen geschichtlichen Phase und zur Problemstellung, die zum jeweiligen Entwurf führten. Denn, auch wenn natürlich manche Entwürfe realitätsfern wirken, wie etwa die Idee der wandernden Städte oder des tausend Meter hohen Hyperbuildings in Bangkok, so sind sie doch immer wieder Antworten auf geschichtliche und städtebauliche Fragestellungen. Sei es die Kubakrise, die Angst vor einem Atomkrieg oder die geringstmögliche Zerstörung der Natur rund um die Städte bei maximaler Verfügbarmachung von Wohn- und Arbeitsraum.
Was in dem Buch auch schön klar wird, ist das Spannungsfeld der architektonischen Vision mit einerseits den technologischen Möglichkeiten der Zeit, aber andererseits auch mit dem finanziellen Wagemut jener, die den Bau solcher gewagter baulicher Konzepte finanzieren.
So stellt Wilkinson auch immer wieder Frage, ob die beschriebenen Gebäude zur Zeit ihrer Planung überhaupt machbar gewesen wären. Und manche wären es bis heute nicht. Andererseits bleibt bei vielen Gebäuden auch der Punkt der teils unvorstellbaren Errichtungskosten. Trotzdem regt das Buch zum spannenden Blick auch auf all die Gebäude an, die letztlich doch gebaut wurden und macht einen auch ein wenig neugierig auf ihre Geschichte.

Der "Atlas der nie gebauten Bauwerke” richtet sich natürlich an alle Architekturinteressierten. Aber auch für Technik-, Geschichte- und Kunstinteressierte wird sich allerhand Neues und Spannendes finden. Das Buch ist kein Reißer, es werden nicht nur spektakuläre, nie gebaute Wolkenkratzer, sondern genauso städtebauliche Konzepte und organischen Formen folgende Einfamilienhäuser behandelt. Das Spektrum reicht von Frankreich bis China und bietet einen breiten Überblick. Die Beschreibungen sind kompakt, für den richtigen Architekturfan möglicherweise zu kurz, für den Einsteiger in das Thema aber mehr als ausreichend und für den Reisenden ohne Fotoapparat allemal eine Reise wert.

Details

  • Autor*in:
  • Originaltitel:
    Phantom Architecture
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    10/2018
  • Umfang:
    256 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • ISBN 13:
    9783423289764
  • Preis (D):
    30,00 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Anspruch:
  • Illustration:

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