Eleanor Bardilac im Interview

"...ich fand das Konzept von Nekrobotanik faszinierend."

Beitrag von Janett Cernohuby | 20. April 2022

Wo immer man hingeht, nimmt man auch ein wenig von jenem Ort mit, an dem man aufgewachsen ist. Aber ist diese Behauptung auch in phantastischen Welten gültig? Die Wiener Autorin Eleanor Bardilac hat 2021 mit ihrem bei Knaur erschienenen Roman „Knochenblumen welken nicht“ debütiert. Wie viel von Wien sich in ihren Roman geschummelt hat und ob Knochen und Blumen eine gute Kombination sind, wollten wir sie selbst fragen. Daher haben wir uns mit ihr im Wiener Café Museum getroffen.


Hallo Eleanor. Gleich zu Beginn: Gratulation zum Gewinn des Seraph-Literaturpreises in der Kategorie „Bestes Debüt“. Wie war das für dich?

Danke! Es war Wahnsinn. Ich wusste es ja schon ein bisschen früher und musste dann tatsächlich eine Woche Stillschweigen bewahren. Das war durchaus eine Tortur. Aber … phantastisch natürlich, wortwörtlich phantastisch. Ich habe ehrlich nicht damit gerechnet und das war dann wirklich eine schöne Überraschung.

Nachdem du den Seraph gewonnen hast, wie hat der Verlag darauf reagiert?

Die Leute bei Knaur haben sich natürlich sehr über den Preis gefreut, vor allem meine Lektorin Maria Weber.

Interview Eleanor Bardilac im Cafe Museum in Wien

Mit dem SERAPH zeichnet die Phantastische Akademie e. V. seit 2012 jährlich die besten deutschsprachigen Romane des Genre Phantastik in den Kategorien "Bester Roman", "Bestes Debüt" und seit 2018 "Bester Independent-Titel" uas. Ort der Preisverleihung war bisher die Leipziger Buchmesse, die pandemiebedingt 2022 erneut abgesagt wurde. Daher konnte uns Eleanor Bardilac den Preis nicht in physischer, aber immerhin in digitaler Form für ein Foto zeigen.

Dein Roman „Knochenblumen welken nicht“ ist im Juli 2021 erschienen. Mitten in einer Pandemie, in einer Zeit ohne Buchmessen und ohne Kontakt zu den Lesenden. Wie war das für dich, ohne direktes Feedback?

Der Vorteil war sicher, ich hatte keinen Vergleich zu anderen Releases, denn es war die erste Veröffentlichung und dementsprechend ist es mir vielleicht auf der einen Seite leichter gefallen als anderen Leuten, die in den letzten beiden Jahren etwas publiziert haben. Auf der anderen Seite war es natürlich schwierig, weil mit den ganzen Messen auch Werbemöglichkeiten und Verkaufsmöglichkeiten komplett weggebrochen sind. Das war ja alles eigentlich nicht möglich, bis auf ein paar Monate, wo es so „Halblösungen“ gegeben hat, die aber im Endeffekt auch nicht wirklich viel gebracht haben.

Die Handlung ist in der Stadt „Vhindona“ angesiedelt. Dort fahren Fiaker und manche Leute reden recht „g‘schert“ daher. Kann man zu Recht behaupten, dass die Stadt von Wien inspiriert wurde?

Ja, definitiv. Der Name selbst kommt auch von dem römischen Namen Vindobona. Für jene Siedlung, die die Römer an der Stelle von Wien gebaut haben. Da war ich wirklich kreativ (lacht). Ich dachte mir, es wäre einfach schön, dieses Flair von Wien um die vorletzte Jahrhundertwende einzufangen und dies mit einer gewissen magischen Komponente zu versehen. Diese Kombination gibt es noch nicht so oft.

Stichwort Magie. Nekromanten, Totenbeschwörer, Totentänzer. Es gibt viele Bezeichnungen für das, was der Protagonist des Romans, der Magier Marius Cinna, tut. War es schwierig, jemanden, der sich hauptsächlich mit dem Tod beschäftigt, als Sympathieträger aufzubauen?

Das weiß ich nicht. Das muss man tatsächlich die Leserschaft fragen, ob das funktioniert hat. Ich bin tatsächlich Wienerin, von vollem Herzen. Deswegen habe ich eine spezielle Beziehung zum Tod. Ich finde es jetzt nicht unbedingt schlimm, es gehört einfach dazu. Ich glaube schon, dass es gut ist, dieses Thema zu besprechen und eben auch in Kontexten zu besprechen, wo es vielleicht einerseits nicht so „wehtut“, weil eine gewisse Verfremdung dabei ist – eben durch die phantastischen Elemente – aber weil es vielleicht auch nicht so erwartet wird. Deswegen habe ich auch eine Figur geschrieben, für die der Tod nur der Teil eines Kreislaufs ist. Ich wollte keinen klassischen Nektromanten haben, ich wollte tatsächlich jemanden haben, der auch Sterbebegleitung macht, der dem Tod mit einer gewissen Sanftheit begegnet. Das war mir ziemlich wichtig. Und ich denke, dass das dem Charakter auch eine gewisse Sympathie einbringt.

Wie bist du dabei auf die „Haustiere“ des Magiers gekommen?

Der Affe war inspiriert von „Fluch der Karibik“, das sage ich offen und ehrlich. Ich wollte einen untoten Affen, weil der einfach cool ist. Bei den Untoten war es so, dass ich das Thema anders gestalten wollte. Verrottende Leichen sind jetzt nicht gerade etwas Neues – und ich fand das Konzept von Nekrobotanik faszinierend. Also die Verbindung von Tod und Leben, indem man Knochen wieder animiert und etwas Neues daraus macht. Deshalb sind diese Untoten zumindest zu einem gewissen Teil lebendes Material. Nämlich die Pflanzen, die sie auch verwenden, um sich besser bewegen zu können. Denn eigentlich ist es absolut absurd, dass sich Skelette ohne irgendwelche Muskelfasern bewegen können. Und gerade bei dem menschlichen Skelett, bei Bob, wird ja auch im Buch beschrieben, dass die Pflanzenstränge quasi diese Fasern ersetzen.

Du beschreibst in deinem Roman eine Gesellschaft, in der viele versuchen, das, was sie besonders macht – in diesem Fall die Magie – zu verbergen. Hast du diesen Aspekt bewusst gewählt? Hat dieser Bezug zur Realität?

Ich denke schon. Es war mir wichtig, das Ganze nicht eindimensional darzustellen. Das habe ich versucht, indem immer wieder aufgeworfen wird, dass das ein gesellschaftliches Konzept ist, wie mit etwas umgegangen wird, das einfach da ist. In Vhindona geht man ganz anders damit um als in dem Land, aus dem Marius kommt. Dort ist Magie ja ein Geschenk und damit wird ganz anders verfahren, sie wird anders eingesetzt. Ich glaube schon, dass man da Parallelen ziehen kann. Viele marginalisierte Leute, die das Buch gelesen haben und von denen ich Rückmeldungen bekommen habe, haben sich da schon wiedererkannt. Und das war schon spannend. Das war keine einheitliche Gruppe. Es waren verschiedene Personen, die aus unterschiedlichen Gründen Diskriminierung erfahren haben. Und das hat schon eine bestimmte Saite zum Klingen gebracht.

Subtil eingebunden ist auch eine leider etwas unglückliche Liebesgeschichte, mit der man zu Beginn vermutlich nicht rechnet. Wie ist es zu den Gefühlen zwischen Marius und Oberspäher Beilschmidt gekommen?

Diese Geschichte bricht Herzen links und rechts und ich liebe das ein bisschen, zugegeben. Wie ist es dazu gekommen? Ich habe eine Figur geschrieben, die schon ein halbes Jahrtausend alt ist. Ich finde es immer schwierig, wenn Figuren, die so viel älter sind, die einfach so viel erlebt haben und Last auf ihren Schultern tragen, sich bedenkenlos in etwas stürzen. Besonders wenn sie gerade etwas anderes „zu tun“ haben. Das war sicher ein Grund, warum das so gelaufen ist oder warum es sich so entwickelt oder eben nicht entwickelt hat. Auf der anderen Seite ist es so, dass Johann sterblich ist. Marius ist natürlich auch sterblich, aber Magiebegabte in diesem Universum können anders als Nichtmagische wie Johann. eben Jahrhunderte alt werden. Wenn man jemand ist, der schon viele Verluste erfahren hat, ist es schwierig, das wieder und wieder zuzulassen. Das war auch ein Faktor. Der Rest hat sich einfach entwickelt, ohne dass ich das forciert hätte. Es war ein für mich spannender Handlungsstrang, den ich weiterverfolgen wollte.

Ein wichtiger Bestandteil der Handlung ist, dass die Grenzen zwischen dem, was „Gut“ und „Böse“ ist, nicht ganz so klar abgesteckt sind. Vieles kommt auf die Gesellschaft und den kulturellen Hintergrund an, der zum Beispiel zwischen Aurelia und Marius sehr unterschiedlich ist. Wird sich dieser Bestandteil im geplanten zweiten Band noch verstärken, da Aurelia hier mit einer ganz anderen Kultur konfrontiert wird?

Ja, es war (und ist) geplant, das im zweiten Teil nochmal aufzugreifen. In Mistras werden Dinge teilweise ganz anders bewertet als in Radbod, im Guten wie im Schlechten. So handelt es sich bei der mistrischen Gesellschaft um etwas, das in vielen Bereichen utopisch-sozialistische Züge trägt: Das betrifft sowohl die gesundheitliche Versorgung als auch Architektur, Mehrsprachigkeit, Gender-Identitäten und Familienkonzepte. Doch auch diese Gesellschaft ist nicht vollkommen, besonders wenn es um schwerwiegende Entscheidungen geht.

Das Werk ist als Dilogie geplant. Wird man sich hier bald auf einen zweiten Band freuen können oder hat erst einmal ein anderes Projekt Vorrang?

Leider haben sich die Verkaufszahlen nicht ganz so entwickelt, wie der Verlag und ich uns das gewünscht hätten. Deshalb ist der zweite Band derzeit nicht geplant. An sich gibt es schon Material dazu. Wir werden sehen. Aber man will auf jeden Fall bei Knaur weiter mit mir zusammenarbeiten.

Was sind deine nächsten literarischen Pläne? Hast du schon etwas, an dem du arbeitest?

Ja. Es ist gerade ein queerer Vampirroman fertig geworden, der wartet auf ein Zuhause. (lacht) Da bin ich gerade gespannt, wann ich Rückmeldung bekomme. Es gibt auch ein paar Konzepte, an denen ich arbeite. Eines wäre tatsächlich ein Meerwesen-Projekt, das komplett unter Wasser spielen würde. Und das andere wäre eine Solarpunk-Science-Fiction-Adaption von Arthur‘ischen Legenden.

Liebe Eleanor, vielen Dank für das Interview hier im atmosphärischen Cafe Museum in Wien. Wir wünschen dir viel Erfolg mit deinen neuen Projekten, aber drücken auch die Daumen, dass wir vielleicht doch noch eine Fortsetzung der Knochenblumen lesen werden. Und vielleicht können wir uns dann auch einmal deinen gewonnenen Seraph in Echt anschauen.

Knochenblumen welken nichtKnochenblumen welken nicht


Taschenbuch, 400 Seiten
Knaur, Juli 2021
ISBN: 978-3-426-52716-0

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Eleanor Bardilac im Interview