Wenn Turnschuhe nichts bringen.


Der CEO-Code für starke Führungskräfte.
von Brunello Gianella, Benjamin Schulz
Rezension von Elisabeth Binder | 28. Januar 2020

Wenn Turnschuhe nichts bringen.

Ein Inschinör hat's schwör, ein Manager hat's definitiv schwörer. Schier unendlich und schwer überblickbar sind die Ratgeber, die am Basar der Managementm(eth)oden ihre Waren anbieten. Jede einzelne verspricht nicht weniger als die Lösung aller, aber auch wirklich aller Probleme, denen sich Manager im Alltag ausgesetzt sehen. Mit keinem geringeren Anspruch gehen Benjamin Schulz und Brunello Gianella an den Start.

Sie starten mit einer sehr forschen Diagnose der Unpässlichkeiten, an denen die deutschen Unternehmen kranken: Nämlich zu viel Konformität, zu viel Betonung auf fachliches Wissen und Kompetenz bei der Personalauswahl, zu viel protestantische Arbeitsethik und zu wenig Persönlichkeit in den Führungsetagen. Wenn dieser Konformismus auf die Digitalisierung trifft ist Feuer am Dach, zumindest nach Meinung der Autoren. Denn: "Wer sich nicht als Person zu erkennen gibt, wird von den Algorithmen des Digitalen gnadenlos in den Mainstream eingespeist." (S. 17) Aussagen wie diese, mit denen sich die beiden Herren das erste Digitalisierungs-Eigentor schießen, sind nur eines von vielen Beispielen und ein früher Höhepunkt des Marketinggeschwurbels, das sich in ähnlicher Qualität über die ganzen 170 Seiten ergießt. Die Entwicklung einer Persönlichkeit ist ja für Führungskräfte auch nicht leicht, werden sie doch von Vorschriften, Political Correctness, Gesetzen wie der DSGVO und anderen "Zumutungen" (S. 18) umzingelt. Aus dieser Zwickmühle weist die Selbsterkenntnis und da im Speziellen die individuelle Ausprägung der "Lebensmotive" nach Steven Reiss. Der amerikanische Psychologe hat diese 16 Lebensmotive angeblich in akribischer, wissenschaftlicher Kleinarbeit zusammengetragen und ausführlich validiert. Und ganz zufällig ist einer der Autoren Senior Partner bei Reiss Motivation Profile® germany.

Weil die die "Lebensmotive" in den weiteren Kapiteln noch eine wesentliche Rolle spielen, ist an dieser Stelle ein kurzer Exkurs angebracht. Steven Reiss entwickelte in den 1980er Jahren ein Inventar an Aussagen zu Motivation, Zielen und Werten. Über 300 dieser sogenannten Items wurden ca. 400 Personen vorgelegt, die dann den Grad ihrer Zustimmung oder Abneigung auf einer Skala eintrugen. Die Daten wurden dann mit Hilfe von statistischen Methoden und keinerlei Hypothesen in 15 Gruppen zusammengefasst und den so entstandenen Lebensmotiven einprägsame Namen gegeben. Eine 16. Gruppe, nämlich das Sparen, wurde später hinzugefügt. Angeblich sind diese Lebensmotive elementar für den Mensch als Spezies und sind, bis auf wenige Ausnahmen, bei der Geburt in ihrer individuellen Ausprägung (neutral, stark oder schwach vorhanden) bereits unveränderbar angelegt, sozusagen ein Motivations-Fingerprint. Die Reissianer behaupten, dass das Reiss Motivation Profile® (RMP) die spezifische intrinsische Motivation jedes Menschen entschlüsseln kann. Kritische Stimmen merken dazu an, dass es sich bei dem Profil um eine Typologie handelt, anhand derer keine Rückschlüsse oder Prognosen auf tatsächliches Verhalten gezogen werden können. Böse Zungen behaupten, dass das RMP und andere Persönlichkeitstests (MBTI, DISC) den handelsüblichen persönlichen Horoskopen (selbstverständlich mit Aszendenten) nicht unähnlich sind.

Zurück zum Geschehen im Buch. Das zweite Kapitel wirft deutschen Unternehmen bzw. den HR-Abteilungen vor, dass sie Menschen vorwiegend nach Fachkenntnissen aussortieren und als jederzeit ersetzbare Arbeitskraft betrachten und nicht als Persönlichkeiten. Bereits Marx hätte das so oder ähnlich festgestellt. So lange herrscht die Malaise also schon! Wie löst man das Problem: Man setzt die Leute dort ein, wo sie am besten mit ihrem Motivationsprofil hinpassen und gleich ist alles gut und authentisch. Irgendwie wird man das Gefühl hier nicht los, dass Marx im Kapital doch etwas andere Schlussfolgerungen gezogen hat. Im nächsten Kapitel geht es um authentische, stimmige Unternehmensleitbilder. Zum ersten Mal werden hier die lesenden CEOs direkt angesprochen, denen die beiden Berater die Erstellung eines authentischen Leitbilds in Aussicht stellen. Diesmal unter Einsatz eines von hinten aufgezäumten Reiss Motivation Profile eines Avatars, der die Firmenwerte repräsentiert. Dann geht es wieder zurück zur Personalauswahl, diesmal etwas ausführlicher als im zweiten Kapitel. Die These lautet: die Auswahl und der Einsatz von MitarbeiterInnen anhand des Motivationsprofils wäre eine geeignete präventive Maßnahme, um Unternehmen gar nicht erst krank werden zu lassen. Die Inspiration dazu nehmen die Autoren aus den Ansätzen der Homöopathie und der Traditionellen Chinesischen Medizin. Man bewegt sich wissenschaftlich also auf ähnlichem Niveau weiter. Wenn diese kosmische Harmonie hergestellt wird, dann lösen sich auch andere Widersprüche in Luft auf: "Einen Interessenskonflikt zwischen Führungsebene und Belegschaft gibt es im Grunde nicht; zumindest dann nicht, wenn mit anderen Augen auf das Verschiedensein geschaut wird." (S. 74) Merke: Es gibt also kein Problem mit unverhältnismäßig hohen Managergehältern oder prekären Arbeitsverhältnissen, sondern maximal eine schlechte Stellen-Motivationsprofil-Passung. Flugs geht es weiter mit einem Kapitel zur Rolle und Persönlichkeit von Managementberatern, die in Zukunft weniger Excelknechte und mehr Gandalf sein müssen, um die verkorksten Unternehmen wieder in Schwung zu bringen und fit für die Generation Y und Z zu machen, die vorher noch mit ein paar Seitenhieben aus der untersten Schublade bedacht werden: "Die verwöhnte Generation Y, die, als sie ins Berufsleben einstieg, nicht als Praktikant anfing, sondern mit der Selbstverwirklichung (…)." (S. 110) Diese Generation nimmt sich doch tatsächlich das Privileg heraus, selbst zu bestimmen, welche Jobs auf ihre Motivation passen! Es folgt ein Kapitel zur Wichtigkeit von Fehlerkultur und persönlicher Verantwortung, das nicht ganz logisch an das vorhergehende anschließt, eventuell hatte man hier schon einen Text auf Lager, den man unbedingt loswerden wollte. Schließlich kommt das untertitelgebende Kapitel, nämlich der "geheime CEO Code", der an dieser Stelle geknackt wird. Worin besteht nun dieser magische Code, den starke Führungskräfte für sich entschlüsselt haben? Aus der Sicherheit über die eigenen Lebensmotive, einem impliziten Wissen, also Erfahrung, und der Klärung der Warum-Frage. Das Rätsel ist also gelöst und es folgt noch ein Kapitel, wo das Modell des CEO Codes auf Unternehmen übertragen wird, also wieder ein Schritt zurück zu den Unternehmensleitbildern aus Kapitel 3. Und dann ist das Buch plötzlich aus. Es folgen noch ein Anhang mit Details zu den 16 Lebensmotiven nach Reiss und acht Seiten Anmerkungen aus Fußnoten. Offensichtlich traut man den CEOs mehr Persönlichkeit als Wissen zu, wird doch in Fußnote 5 tatsächlich das Wort exponentiell erklärt.

Die beiden Autoren verfügen sicherlich über viel Erfahrung in der Beratung von Führungskräften, sie beobachten Probleme oft sehr genau und legen Finger in offene Wunden, ihre Lösungsvorschläge sind aber simplifizierend und erstaunlich mechanistisch. Bleibt nur zu hoffen, dass die CEOs nicht die notwendige Zeit zum Lesen finden und das "normale Personal" (S. 75) von dieser Variation der "Managementesoterik" (© Viktor Lau) verschont bleibt.

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