Demenz


Wie unsere alternde Gesellschaft den Kollaps vermeidet
von Reimer Gronemeyer
Rezension von Manfred Weiss | 31. Januar 2019

Demenz

Das Älterwerden und das alltägliche Vergessen holt viele schrittweise ein. „Es gehört eben dazu“. Immer wieder blickt man dann mit augenzwinkerndem und doch auch besorgtem Blick auf die eigenen Jahre und schaut bang nach vorne auf das unvermeidlich scheinende große Vergessen im Alter. Bleibt die Frage: Was ist diese vielgenannte Demenz und wie können wir damit umgehen?

“Demenz” von Reimer Gronemeyer versucht das Thema vielschichtig und aus zahlreichen Perspektiven zu beleuchten. Natürlich einerseits aus der medizinischen Perspektive, dort aber rasch in einer unbefriedigenden Erklärungssituation steckenbleibend. Andererseits, und da viel erfolgreicher, aus dem persönlichen, sozialen und gesellschaftlichen Blickwinkel. Mit einem Blick natürlich auf die Demenzbetroffenen, aber ebenso auf die Angehörigen und Pflegenden. Doch auch die Rolle der (noch) Unbeteiligten bleibt nicht ausgespart. Auch sie werden im Alltag immer wieder auf demente Menschen und ihre Angehörigen treffen. Wie der Autor immer wieder betont: Die Anzahl der von Demenz betroffenen Menschen wird in den nächsten dreißig Jahren deutlich zunehmen. Sie werden auch im öffentlichen Raum mehr und mehr sichtbar werden. Es gibt keine universelle Lösung dazu. Wir werden lernen müssen, damit zu leben.

Der Demenz nicht ausweichen

Eine große Stärke des Buches liegt in seinem breit gefächerten Zugang zu dem Thema. Reimer Gronemeyer gelingt es die verschiedenen Facetten so aufzubereiten und darzustellen, dass das jeweilige Problempotential/Dilemma verständlich wird. Mag es auch da und dort Wiederholungen von Sachverhalten und Argumenten geben, so wirkt das im Zusammenhang sogar fast sympathisch.

Besonders eindrucksvoll sind insbesondere die persönlichen Erfahrungen des Autors mit von Demenz betroffenen Menschen und dem Umgang mit ihnen. Da ist zwar einiges aus der eigenen, fachlichen Praxis entnommen, aber einiges auch aus der persönlichen Erfahrung eines mit wachem Blick am Alltag teilnehmenden Menschen. Situationen, die tatsächlichen jeden jederzeit mit dem Thema in Berührung bringen können und mit der steigenden Anzahl dementer Menschen auch mehr und mehr werden.

Krankheit Demenz?

Interessant ist auch der Blick auf den Umgang vergangener Generationen mit Demenz, soweit sie damals ursächlich überhaupt auf das Alter eines Menschen bezogen und nicht generell dem Wahn zugerechnet wurde. Auch der Blick auf den Umgang verschiedener Kulturen mit dem Thema fehlt nicht.

Ebenso spannend sind die Überlegungen zum Zusammenwirken des modernen technisierten Lebens mit Demenzursachen. Sehr plastisch etwa im Begriff der digitalen Demenz dargestellt, die auch als Antwort auf eine Drucklage begriffen werden kann; ein altersbedingter Burn Out.

Natürlich kann im Zusammenhang auch das Thema Euthanasie nicht ausgespart werden. Ebenso wie allgemeine ethische Überlegungen zum Umgang mit Demenzkranken. Wobei schon die Verknüpfung von Demenz und Krankheit für den Autor eine fragwürdige ist. Auch das wird in der Vielfalt der beschriebenen Aspekte und Zusammenhänge nachvollziehbar herausgearbeitet.

“Demenz” von Reimer Gronemeyer ist ein Buch für alle, die eine umfassende und gut lesbare Abhandlung zu dem Thema suchen. Es ist kein Buch für Leser, die eine tiefgründige Recherche neurologischer Hintergründe der Demenz erwarten. Das Buch kann nur wenige Lösungen anbieten. Die gilt es noch zu finden. Aber es bietet viele Erklärungsversuche, verknüpft die verschiedenen Dimensionen des Themas geschickt und lädt ein, sich nicht zu verstecken, sondern seine eigene Perspektive zu finden. Der Autor selbst ist 1939 geboren und erzählt klarsichtig und spannend und mit der Kompetenz seines Alters ebenso, wie mit einem besorgten Blick in die Zukunft.

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