Blutiges Zeitalter - Europa im Krieg 1450-1700

von Lauro Martines
Rezension von Gabriel Zupcan | 30. April 2015

Blutiges Zeitalter -  Europa im Krieg 1450-1700

Die Kriege lange vergangener Epochen erscheinen einem heutzutage wie historische Spielereien. Bunte Gemälde, prächtige Rüstungen, vielleicht auch pittoresk marschierende Armeen aus einem Historienfilm werden ins Gedächtnis gerufen. Verglichen mit dem Grauen moderner Konflikte, die auf Film gebannt allgegenwärtig von ZDF History bis YouTube erscheinen, sind solche Waffengänge unter Zinnsoldaten nur allzu leicht verdrängbar. Dass der Krieg, der heute wütet, aber seinesgleichen bereits zuvor gefunden hat, das beleuchtet Lauro Martines in seinem neuesten Buch.

Der US-amerikanische Historiker hat sich bereits einen Namen als Autor zu Sachbüchern über die italienische Renaissance gemacht, auf deren Gebiet er ein Experte ist. In "Blutiges Zeitalter" wagt er sich an eine Facette der Renaissance und späterer Epochen, die im Zusammenhang mit diesem Begriff oftmals übersehen wird: die Kriegsführung in der Frühen Neuzeit.
Kurz zur Begriffsklärung: Unter der "Frühen Neuzeit" versteht ein Historiker die Periode vom Ende des Mittelalters bis zur Herausbildung der modernen Nationalstaaten. Je nach Definition der Abgrenzung somit ungefähr das 16. und 17. Jahrhundert - von der Entdeckung Amerikas 1492 bis in das 18. Jahrhundert und dem Aufkommen der Aufklärung hinein. Diese Zeit wies viele Merkmale feudaler, mittelalterlicher Herrschaft auf, die zusehends durch die Entwicklung und Herausbildung von staatlichen Institutionen gewandelt und ersetzt wurden. Auch die Kriegsführung veränderte sich deutlich, unter anderem durch den Einfluss neuartiger Technik und politischer Erfordernisse.
Martines geht in seiner Darstellung den Weg des Sozialhistorikers. Er interessiert sich nicht für einen großen Abriss der Militärgeschichte. Wer auf der Suche nach Daten von Schlachten, Kampftaktiken und vor allem dem "Wer hat gewonnen?" ist, wird hier nicht fündig und ihm seien andere Autoren empfohlen. Martines Ziel ist es, den Krieg im Sinne der Sozialgeschichte von "unten" zu beleuchten. Was bedeutete Krieg für die einfachen Soldaten, die Zivilbevölkerung, anstatt für die Fürsten und hohen Feldherren? Er hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, dabei die gesamte Zeit von 1450 bis 1700 heranzuziehen, eine Zeit, die praktisch permanent von Krieg am europäischen Kontinent oder unter Beteiligung europäischer Mächte gekennzeichnet war. Das Werk ist nicht als historische Fachliteratur aufbereitet, sondern versteht sich als Sachbuch und ist auch für den Laien zugänglich geschrieben und erzählt. Am Ende gibt es eine ausführliche Bibliographie, aber mit den Fußnoten für die Belege hält es sich (für den Nicht-Fachmann) erfreulich in Grenzen. Da oftmals im Schauplatz und Zeitpunkt mit lebendigen Fallbeispielen hin- und hergesprungen wird, kann es trotzdem den Leser überfordern. Falls dieser sich der zur Erzählumgebung herrschenden Verhältnisse nicht bewusst ist, verschwimmen die gesamten 250 Jahre zu einem einzigen Blutbad mit Pest und Cholera.

Die große Stärke des Buches ist die Zeichnung eines Bildes, das in der Wahrnehmung moderner Menschen aufgrund des schwierigen Zugangs zu Medien der damaligen Zeit, kaum vorhanden ist. Der Krieg wird lebendig und bekommt sein ihm zustehendes hässliches Gesicht. Die Eroberung einer Stadt vor über 300 Jahren ist ein Ereignis, das man am Papier hinnimmt. Bei Martines wird man sich bewusst, was für einen Terror die Einnahme für die Einwohner bedeutet hat. All das, was heutzutage unter den Begriff "Kriegsverbrechen" fallen würde, war in der Frühen Neuzeit essenzieller Bestandteil der Kriegsführung. Zivilbevölkerung wurde als solche nicht anerkannt, geschweige denn, dass zwischen der "eigenen" und der "feindlichen" Zivilbevölkerung unterschieden wurde. Auch das Dasein der gemeinen Soldaten und ihr Elend werden beleuchtet. Die noch unterentwickelte Logistik, aber immer größere Heere sorgten für einen dramatischen Anstieg von Übergriffen der Armeen auf die Zivilbevölkerung im Verlauf des 16. Jahrhunderts und fanden ihren Höhepunkt im religiös motivierten 30-jährigen Krieg.
Martines Argumentation bleibt überaus schlüssig und jeder, der sich mit der Epoche oder dem Thema beschäftigt hat, wird ihr folgen können. Ebenso beachtet werden sollte die moralische Anprangerung des Autors gegenüber dem Krieg als legales Mittel zur Lösung von Konflikten, das bis heute Aktualität hat. Dabei wird er nie polemisch oder effektheischend. Sein Stil ist nüchtern und sehr zugänglich. Die Fallbeispiele, die er bringt, beleuchten auch und vor allem weniger berühmte Namen und Konflikte der Historie, die einen dazu animieren, darüber noch mehr in Erfahrung zu bringen.

Wer ein komplementäres Werk zum Gesamtbild der Kriegsgeschichte der Frühen Neuzeit lesen will, dem sei das hier wärmstens ans Herz gelegt. Ein modernes Geschichtsbild ohne den sozialen Aspekt ist unvollständig und simplifiziert. Im Bereich der Sachbücher könnte es sich hierbei möglicherweise ein künftiges Standardwerk neueren Datums handeln. Auch Leser, die mit traditioneller Literatur bei der mehr auf politische Ereignisse Wert gelegt wird, nicht so viel anfangen können, finden hier möglicherweise ihren Zugang zur Geschichte.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    03/2015
  • Umfang:
    336 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • ASIN:
    3806230188
  • ISBN 13:
    9783806230185
  • Preis (D):
    29,95 €

Bewertung

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