Um jeden Preis

von Hera Lind
Rezension von Janett Cernohuby | 10. November 2025

Um jeden Preis

Das Leid, das der Zweite Weltkrieg gebracht hat, kann man nicht ermessen. Genauso schwer ist es, dieses in Worte zu fassen. Mit seinem Ende war dieses Leid noch lange nicht vorbei, besonders nicht für Millionen von Menschen, die in sibirische Gulags verschleppt wurden. Einer dieser Familien gibt Hera Lind in „Um jeden Preis“ eine Stimme zurück.

„Zusammenbleiben. Unbedingt zusammenbleiben.“

Diese Anweisung vom Vater begleitet Lydia über viele Jahre hinweg. Geboren 1927 in Odessa, überlebte die Familie den „Holodomor“, die durch Stalin ausgelöste Hungersnot in der Ukraine, nur, um ab 1944 in einem nicht enden wollenden Albtraum festzustecken. Die Familie flieht vor der vorrückenden Roten Armee, schafft es sogar bis nach Deutschland, wird dann aber zurückgeholt. Während der Vater kurz vor Kriegsende noch eingezogen wird, werden Lydia mit ihrer Mutter und den vier Geschwister nach Sibirien verschleppt. Bei minus 50 Grad kämpfen sie um ihr nacktes Überleben; ein Kampf, der zwölf unbarmherzige Jahre lang andauern soll. Sie werden von einem Gulag in das nächste verschleppt. Lydia heiratet, wird selbst Mutter von acht Kindern, von denen sechs überleben. Als sie schließlich entlassen werden, stehen sie wieder einmal vor dem Nichts - und vor dem eisernen Vorhang, der sie zwingt, weitere Jahre durch die Sowjetunion zu irren. Erst Kasachstan, dann Lettland und schließlich gelingt ihr das Unfassbare: die Ausreise nach Westdeutschland.

Bewegendes Schicksal

Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen? Eine Frage, die man sich immer wieder stellt und die hier eine weitere, unglaublich erschütternde Antwort bringt. Denn das, was Lydia in ihrem Leben erfahren hat, ist unfassbar. Zugleich ist es ein Schicksal, das sie mit Millionen Russland-Deutschen teilt. Lydias Geschichte macht auch ihr Leid sichtbar, gibt ihnen eine Stimme. Eine Stimme, die anklagt, die Verzweiflung und Kummer sichtbar macht, die aber auch von unglaublicher Stärke und Überlebenswillen erzählt. Denn dieser wohnt Lydia jederzeit inne. Sie gibt nicht auf, egal wie widrig sich die Umstände auch zeigen. Und Widrigkeiten gibt es Zuhauf. Ein ums andere Mal wird die Familie zusammen mit anderen Flüchtlingen, in einem Loch abgeladen; einem vermeintlichen Heim, das völlig heruntergekommen ist. Mit unermüdlichem Überlebenswillen schafft die Familie, das Beste daraus zu machen, schafft sich selbst Inseln mit Lichtblicken und Hoffnungen, bevor diese erneut zerschlagen werden und sie in das nächste Loch gebracht werden. Hier beginnt der Kampf ums Überleben von neuem. So manchen liebgewonnenen Menschen verliert Lydia auf ihrem Weg, darunter auch zwei ihrer Kinder. Doch egal wie hart die Rückschläge sind, sie gibt niemals auf, kämpft weiter, bis sie ihr Ziel am Ende erreicht. Damit dieser Kampf nicht vergessen wird, haben sich ihre Nachfahren mit Hera Lind zusammengesetzt und diese bewegende wie auch erschütternde Geschichte aufgeschrieben.

„Um jeden Preis“ ist ein bewegender Tatsachenroman, der vom Schicksal einer bemerkenswerten Frau erzählt. Einer Frau, die nicht aufgibt, die weiterkämpft, egal welche Widrigkeiten das Schicksal für sie bereithält. Ein Schicksal, das fast eine Million Russland-Deutsche mit ihr teilen und das nicht vergessen werden darf.

Details

Bewertung

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