Schon vieles wurde über die Zeit der Nazi-Herrschaft geschrieben, zahlreiche Geschichten und Schicksale erzählt. Und trotzdem gibt es noch so vieles Grausames, das im Verborgenen schlummert, das noch nicht erzählt wurde. Oft, weil es nicht in unserem unmittelbaren Fokus liegt oder weil die historischen Dokumente dazu sehr spärlich sind. Dazu gehört das Schicksal norwegischer Frauen, die sich während des Weltkriegs in SS-Männer verliebten und im Lebensborn deren Kinder zur Welt brachte. Helen Parusel gibt ihnen in ihrem historischen Roman nun eine Stimme.
Eine verbotene Liebe
Es ist eine dunkle Nacht, die jedoch durch Gewehrschüsse und Schreie durchbrochen wird, Am Fjord von Navrik tauchen 1940 Kriegsschiffe auf und deutsche Soldaten nehmen Norwegen im Sturm ein. Von nun an ändert sich das Leben der Menschen schlagartig, auch das von Laila. Nach außen hin arrangiert sie sich mit den Gegebenheiten, doch im Verborgenen schließt sie sich dem Widerstand an und versucht diesem durch ihre Arbeit im Hotel Informationen zu beschaffen. Dort lernt sie den deutschen Soldaten Josef kennen. Er ist nicht wie die anderen Soldaten, sieht bei ihren Aktivitäten weg und unterstützt sie, so gut es ihm möglich ist. Obwohl Laila alles Deutsche ablehnt und mit Verachtung auf die jungen Frauen schaut, die sich mit deutschen Soldaten einlassen, kann sie sich ihren Gefühlen irgendwann nicht mehr entziehen. Sie verliebt sich in Josef und beide beginnen eine geheime Beziehung.
Das Schicksal norwegischer Frauen
Doch das Schicksal hat einen harten Weg für Laila gewählt. Zuerst wird Josef an die russische Front geschickt, wo er vor Stalingrad kämpft. Dann stellt Laila fest, dass sie schwanger ist. Ihre Familie verstößt sie, die Menschen in ihrer Heimat blicken mit Verachtung auf sie. Laila sieht nur noch einen Ausweg und flüchtet in ein deutsches Heim, wo man ledigen Müttern Hilfe verspricht. Es handelt sich um das Haus Lebensborn, eine nationalsozialistische Institution, die sich der NS-Rassenhygiene verschrieben hat. Hier werden norwegische Frauen aufgenommen, die von deutschen Soldaten schwanger geworden sind und nicht mehr weiterwissen. Einigen dieser Frauen wird es ermöglicht, nach der Geburt die Kindsväter zu heiraten und nach Deutschland zu gehen. Andere geben ihre Kinder zur Adoption frei, die dann an deutsche NS-Familien vermittelt werden. In Lailas Augen ist das Heim zunächst ein Ort voller Luxus und Fürsorge. Doch schnell spürt sie die strengen Regeln, das starre Regime und die Indoktrinierung mit NS-Gedankengut. Sie beginnt den Lebensborn zu hinterfragen und stößt dabei auf Unterlagen, die Hinweise auf eine Euthanasieklinik in Bremen liefern. Aus dem einstigen Zufluchtsort wird ein Gefängnis und Laila sieht bald die Flucht als einzigen Ausweg. Doch wo soll sie nun hin und vor allem, wie soll sie sich vor den Nazis verstecken, die Jagd auf sie und ihr Baby machen?
Bisher unerzähltes Kapitel der NS-Zeit
Helen Parusel erzählt in ihrem Roman ein bisher unbeachtetes Kapitel der NS-Zeit. Dabei geht es nicht nur um den Lebensborn und seine Machenschaften, es geht auch um die Schicksale zahlreicher norwegischer Frauen, die sich auf deutsche Soldaten einließen. Nicht immer hatten diese Beziehungen ein Happy End. Die Frauen waren in ihrer Heimat Ausgestoßene, egal ob sie ihr Baby behielten oder nicht. Behielten sie ihre Kinder, wurden diese nach der Befreiung von Nazi-Deutschland ausgegrenzt, gequält, unterdrückt. Hinzu kommen die Machenschaften des Lebensborns, der den Frauen auf subtile Weise die Kinder nahm, über deren Schicksale bestimmte. Kinder mit Behinderungen wurden sogar kaltblütig in Euthanasiekliniken geschickt. Das Bild, das Helen Parusel in diesem Roman nur andeutet, grob umreißt, ist erschreckend und aufwühlend. Es zeigt, dass die NS-Gräuel nicht nur auf Schlachtfeldern und in Konzentrationslagern, sondern auch in anderen Institutionen und auf anderen Ebenen stattfanden.
„Die verlorenen Kinder vom Fjord“ ist mehr als nur ein historischer Roman über die Gräuel des NS-Regimes. Erschütternd erzählt er von einem zu wenig beleuchteten Kapitel jener Zeit, das kaltblütig über Schicksale, insbesondere norwegische Frauen und deren Kinder, bestimmte und dabei gewissenlos Leben zerstörte.
Details
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Originaltitel:A Mother's War
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Übersetzer*in:Gabriele Weber-Jarić
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Erschienen:06/2025
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Umfang:379 Seiten
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Typ:Taschenbuch
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ISBN 13:9783746641232
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Preis (D):15,00 (Buch) €
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Spieldauer:11 Stunden, 24 Minuten