In schwindendem Licht


Spuren jüdischen Lebens im Osten Europas
von Christian Herrmann
Rezension von Michael Seirer | 18. Dezember 2018

In schwindendem Licht

Galizien, Bessarabien, Padolien oder die Bukowina sind von aktuellen Landkarten verschwunden. Im Osten Europas gelegen, waren sie die Heimat der Mehrheit der europäischen Juden vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Kölner Fotograf und Blogger Christian Herrmann widmet sich in diesem Bildband den immer noch sichtbaren Spuren jüdischen Lebens nach der Vernichtung im Zweiten Weltkrieg.

Seit seinem ersten Besuch in Krakau war Christian Herrmann fasziniert vom reichen jüdischen Erbe und kehrte immer und immer wieder zurück. Dabei nahm er seine Kameras mit. Frei aus dem Vorwort: Er habe nicht nach einem Motiv gesucht, das Motiv habe ihn gefunden. Viele der ehemals kulturell wichtigen Stätten existieren heute gar nicht mehr oder sie wurden dem Verfall preisgegeben. In Wolhynien gab es beispielsweise über 300 Synagogen, von denen nur noch etwa 30 als Gebäude stehen. Ziel von Christian Herrmann ist auch, die starke (fotografische) Fixierung bei Holocaust-Themen auf Auschwitz zu relativieren. Es wäre unzulässig, die Thematik auf einen einzelnen Ort zu reduzieren. Und so zeigt der Fotograf eben nicht die Orte des Todes, sondern die Orte, an denen die Opfer gelebt haben.

Die Fotos im Bildband bewegen sich zwischen Dokumentation und Architektur. Einige der Abbildungen zeigen die Aktivisten, die sich der Rettung historischer Artefakte wie Grabsteinen widmen. Die Fotografien sind zweisprachig beschriftet und zeigen komplett verfallene Gemeindezentren, Synagogen oder Friedhöfe. Einige Details widmen sich Wandmalereien, Mesusas in Türrahmen oder den Resten von Geschäftsportalen. Besonders spannend sind Fotografien, die sich mit der Wiederverwendung von jüdischen Grabsteinen beschäftigen. Durch die Inschriften erkennbar, findet man ihre Spuren in Mauern oder Straßenpflastern, in Schleifsteinen und Grillstellen.
Die meist trübe Wetterstimmung mit dichten Wolken, Schnee oder nach einem Regenguss verstärkt den bedrückenden Eindruck der Ablichtungen von Friedhöfen, verfallenen Synagogen und Massengräbern.
Auf seinem Blog Vanished World finden sich viele weitere Fotoreportagen der Reisen von Christian Hermann. Diese Fotografien entstanden zwischen 2014 und 2018.

Die Fülle der Abbildungen macht deutlich, wie umfangreich die jüdische Kultur zwischen Baltikum und Schwarzem Meer verbreitet war - immerhin lebte dort die Mehrheit der europäischen Juden, bevor sie von den deutschen Besatzern und Helfern ermordet wurden. Gebäude können Jahrzehnte überdauern und als stumme Zeugen lassen sie auch in stark verfallenem Zustand die ursprünglichen Dimensionen erahnen und ihre einstig prachtvolle Erscheinung erkennen. Die Abwesenheit von Menschen auf den Fotos verleiht ihnen eine seltsame Stille. Erst auf den letzten Seiten tauchen diese auf einigen Fotos auf.



Der Bildband zeichnet sich durch hohe Papierqualität mit angenehmer Färbung ohne optische Aufheller und guten Druck aus, auch wenn einige der Fotografien etwas dunkel geraten sind. Das einfache Layout betont die Abbildungen.

„In schwindendem Licht“ ist kein Fotoband fürs Durchblättern beim nachmittäglichen Kaffee. Zu wichtig ist das Thema, zu wichtig sind die eindringlichen Botschaften der Fotografien. Ausgedehnte Reisen führten Christian Herrmann in die Ukraine, nach Rumänien, Polen, die Republik Moldau und Ungarn wo er die noch verbleibenden Spuren jüdischen Lebens fotografisch dokumentiert und so Spuren einer sich im Schwinden befindenden Kultur wieder ins Gedächtnis bringt.

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