Die Chroniken von Azuhr

Die weiße Königin

von Bernhard Hennen
Rezension von Stefan Cernohuby | 27. Oktober 2018

Die weiße Königin

Wer wünscht sich manchmal nicht, dass Ereignisse anders verlaufen wären? Dass die bittere Realität doch etwas anders aussehen könnte – vielleicht angenehmer, phantastischer? Im zweiten Band der Reihe „Die Chroniken von Azuhr“ von Bernhard Hennen, gewinnt dieser Wunsch immer mehr an Bedeutung. „Die weiße Königin“ lautet der Titel jenes Romans, der erneut in ein Inselreich führt, in dem ein Vernichtungskrieg unvermeidlich geworden scheint.

Die Geschichte beginnt mit einer verbotenen Liebe zwischen der Konkubine des Kaisers und dessen General. Als der kaiserliche Leibarzt ausgeschickt wird um General Xiang zu besuchen, weiß dieser, dass nicht nur sein Leben und sein Feldzug, sondern auch seine Geliebte – die eigentlich Anspruch auf den Thron hätte – und ihr ungeborenes Kind in Gefahr sind. Und doch steht die Pflichterfüllung an allererster Stelle.
Milan Tormeno ist in den Wäldern unterwegs, wo er gemeinsam mit seinem Freund Rainulf dabei hilft, Gestalten aus Mären zu besiegen. Immer wieder erzählt er dabei, von Felicia geschickt worden zu sein. Doch das Schwert der Rosen, seine einstige Geliebte, wurde von seinem Vater verbrannt. Der Erzpriester Nandus Tornemo ist skrupellos, wenn es um seine Feinde geht. Selbst, wenn sein eigener Sohn in eine Feindin verliebt ist. Während Nandus verschiedene Schlachten schlägt und politisch völlig eigene Ziele verfolgt, gewinnen Milans Geschichten immer mehr an Macht. Und so gibt es zahlreiche Gryms, Meerhexen und Basilisken, die plötzlich damit beginnen, Menschen zu terrorisieren. Alle sind dabei in Angst vor der weißen Königin, die genau dann auf den Plan treten soll, wenn ihr Volk am Rande des Abgrunds steht ...

Bernhard Hennen schreibt im zweiten Band, weit mehr als in seinem Vorgänger, von der Macht von Worten. Von Mären, wie er sie hier nennt. Von Geschichten, die an Macht gewinnen, wenn sie weitererzählt werden, bis sie schließlich wahr werden. Auch wenn sich dieses Thema bereits in „Der Verfluchte“ angedeutet hat, tritt es immer weiter in den Vordergrund. Denn gewissermaßen geht es in dem Werk hauptsächlich um Lügen. Man könnte sogar sagen, um „Fake News“. Nur dass diese, im Vergleich zu konventionellen Falschnachrichten, tatsächlich Gestalt annehmen. Das macht den Charakter, der über die Fähigkeit verfügt, die Wahrheit umzugestalten – „Fleisch zu weben“ – zu einem äußerst mächtigen Zeitgenossen. Und man muss miterleben, wie er angesichts weiterer Rückschläge und Verluste damit beginnt, diese Macht zu missbrauchen, obwohl er sie zu Beginn nur für den richtigen Zweck einsetzen will. Das verleiht dem Roman neben seiner mehrschichtigen Handlung eine zusätzliche Ebene und macht ihn zu etwas Besonderem. Jeder Fan von Bernhard Hennen kann hier ohnehin zugreifen, genauso wie Kenner guter und etwas düsterer Phantastik. Ob man jedoch noch mehr als das aus dem Text herausholen will, liegt vermutlich an jedem Leser selbst.

„Die weiße Königin“, der zweite Roman der Reihe „Die Chroniken von Azuhr“ von Bernhard Hennen, ist natürlich wieder ein Fantasy-Spektakel, bei dem zahlreiche Charaktere auf der Strecke bleiben. Aber das Werk hat noch eine zusätzliche Ebene, die sich mit der Macht von Worten, insbesondere von Lügen, beschäftigt. Ein Thema, das heute so aktuell ist wie kaum jemals zuvor und das durch die speziellen Fähigkeiten eines Charakters auch besonders insteressant wird. Das alles zusammen macht „Die weiße Königin“ zu einem Roman, den man als Liebhaber guter Phantastik unbedingt gelesen haben sollte.

Details

Bewertung

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