Im Kaffeehaus


Gespräche | Fotografien
von Sepp Dreissinger
Rezension von Michael Seirer | 31. Januar 2018

Im Kaffeehaus

Das Kaffeehaus ist als Wiener Tradition weit über die Grenzen Österreichs bekannt. Was aber macht ein “gutes Kaffeehaus” aus? Wen kann man dort zu welcher Zeit antreffen und wie haben sich die verschiedenen Lokale über die Jahrzehnte verändert? Sepp Dreissinger selbst ein passionierter Kaffeehausbesucher, präsentiert uns in seinem neuen Buch mit dem programmatischen Titel “Im Kaffeehaus” eine gelungene Mischung seiner Schwarz-Weiß-Fotografien und Interviews, die er seit Anfang der 2000er Jahre geführt hat.

Der Fotograf, Autor und Filmemacher wurde vor allem durch seine Fotografien von Thomas Bernhard und Maria Lassnig bekannt. Über die Jahre konnte er aber durch seine umfangreichen Kontakte zur Kunst- und Kulturszene in Österreich viele Gespräche führen - die meisten davon im Kaffeehaus.

Ein wiederkehrendes Thema in den Interviews ist die Frage nach dem “idealen Kaffeehaus”. Geht es nach den Interviewpartnern von Sepp Dreissinger, gehört dieses scheinbar der Vergangenheit an. Es darf maximal zur Hälfte gefüllt sein, man geht dorthin, um Zeitung zu lesen und seine Ruhe zu haben und man muss den ganzen Tag dort verbringen können. Lokale, die diesen Kriterien entsprechen, gibt es nur noch wenige. Viele der ehemaligen Künstlertreffpunkte sind inzwischen zu Touristenzentren mutiert oder sperrten gleich ganz zu (wie das Griensteidl). Mit der Gemütlichkeit ist es ebenfalls oft vorbei - in Smartphones starrende oder (noch schlimmer!) telefonierende Besucher, die den Laptop vor sich aufgeklappt haben, bevölkern die Lokalitäten. Das Kaffeehaus als Universität, wie André Heller es nennt, oder als Ort der Sozialisation nach Sepp Dreissinger, scheint nicht mehr zu existieren. Immer wieder erwähnen die Geschichten legendäre Kaffeehäuser wie das Hawelka oder das Café Sport.

Die Namen der im Buch vertretenen Gesprächspartner lesen sich wie das Who-is-Who der österreichischen Kulturszene: Tex Rubinowitz macht sich über den Stellenwert der zeitgenössischen österreichischen Kunst Gedanken, Stefanie Sargnagel erzählt, warum sie gern in ein Café geht, in dem man permanent das Gefühl hat, etwas falsch zu machen, und Robert Menasse schwärmt von der Kaffeekultur in Brasilien. Aber auch Kaffeehausbesitzer wie Leopold Hawelka kommen zu Wort. Josef Hader, Thomas Maurer, Hermes Phettberg, Teddy Podgorski, Christine Nöstlinger und viele weitere finden sich ebenfalls vertreten. Insgesamt beinhaltet das Buch 37 Gesprächsprotokolle - manche als lange Interviews, manche nur als kurze Absätze.

Begleitet werden die Interviews von fast 100 wunderbaren Schwarz-Weiß Portraits. Die frühesten stammen aus 1986 und zeigen den jungen Manfred Deix, Thomas Bernhard oder Julia Stemberger. Sie  reichen bis ins Jahr 2016. Meist erkennbar im Kaffeehaus aufgenommen, sind die Aufnahmen authentisch und intensiv. Als Besonderheit empfehlen wir das besonders großartige Abschlußbild auf der letzten Seite - unbedingt ansehen!

Das Buch besticht durch eine angenehme Haptik. Durch kleine Details im Design , wie zum Beispiel unterschiedliche Papiertypen für die Texte und Fotos, wirkt das Buch wertig und es macht Freude, es zur Hand zu nehmen.

Gert Jonke meint im Buch, das Kaffeehaus gehöre zu einem vollständigen Tagesablauf einfach dazu. Selbst wenn sich die Zeiten diesbezüglich ändern mögen: Sepp Dreissinger hat mit seinem Werk gezeigt, wie sich diese Orte in den letzten Jahrzehnten verändert haben und wie bekannte Namen der österreichischen Kulturszene dort durch lange Gespräche bis tief in die Nacht katalysatorisch gewachsen sind. Zu den interessanten Gesprächen komplettieren die außergewöhnlich ausdrucksstarken Portraits der Interviewpartner das Buch. Und wie es sich gehört, empfehlen wir  unbedingt für die Lektüre ein Wiener Kaffeehaus.

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