Architektur in Schwarzweiß


Industrieruinen, Sakralbauten und Stadtlandschaften fotografieren
von Thomas Brotzler
Rezension von Michael Seirer | 15. Februar 2017

Architektur in Schwarzweiß

Bücher über Architekturfotografie gibt es einige, Bücher über Schwarzweiß-Fotografie ebenso. Der Untertitel “Industrieruinen, Sakralbauten und Stadtlandschaften fotografieren” verspricht schon etwas unüblichere Themen. Wie geht ein erfahrener Fotograf an solche Projekte heran? Was muss bei Planung vorab und beim Herausarbeiten der Komposition vor Or beachtet werden? Der Architektur- und Landschaftsfotograf Thomas Brotzler hat sich diesen und weiteren Themen gewidmet und stellt seine Ansätze in diesem Buch vor.

Das Werk ist in sieben Kapitel geteilt, die sich grob am Workflow eines Fotografen orientieren: "Einführung", "Vorbereitung" inklusive Ausrüstung, Arbeiten im Vorfeld und rechtliche Aspekte, "Motivsuche" vor Ort, die "Komposition", die "Aufnahme", die "Ausarbeitung" und "Sonstiges". Zusätzlich werden sieben Exkurse zwischen den Workflow-Kapiteln unternommen, die in etwa auf 20 bis 30 Seiten andere Fotografen zu Wort kommen lassen und fotografische Projekte im Detail vorstellen. Fotos in den Exkursen werden großflächig abgebildet und mit einem Text versehen, der die Intention des Fotografen erklärt und Zusammenhänge zwischen einzelnen Abbildungen aufzeigt. Geht es in den Kapiteln entlang des fotografischen Workflows eher um theoretische Erläuterungen, sind die Exkurse praktisch gehalten.

Zu Beginn geht der Autor auf das Zusammenspiel von Vorstellung und Abbild (also innerem und äußerem Bild) ein und liefert Gründe für die schwarzweiße Entwicklung: historisch eine Notwendigkeit, von der Farbfotografie abgelöst und aktuell durch eine Rückbesinnung wieder modern geworden. Neben den obligatorischen Ausführungen über die notwendige Ausrüstung und rechtlicher Aspekte, gibt Thomas Brotzler den Themen “Einstimmung auf den Ort” und “Ankommen”, inklusive hilfreicher Tipps, dazu viel Raum. Symbole und deren mögliche Bedeutungsebenen werden beschrieben und durch eigene Bildbeispiele sehr gut veranschaulicht. Auch das Thema Komposition wird über die üblichen Fixstarter “Goldener Schnitt” und “Drittelregel” hinaus behandelt: die Bedeutung von Punkt, Linie und Dreieck wird ebenso erläutert wie Spannungsbögen, Leserichtungen von Bildern und die verschiedene Arten von Kontrasten.

Das Kapitel Aufnahme widmet sich Themen wie der hyperfokalen Distanz und dem Bestimmen des Szenenkontrastes. Schlussendlich werden noch die Fotoauswahl, die schwarzweiß-Konvertierung und Ausgabe für verschiedene Medien behandelt.

Die meisten Exkurse sind Industrielandschaften gewidmet, einer zeigt Arbeiten von Wolfgang Mothes, einer eine Serie über Venedig von Jean Marc Deltombe.

Wer sich mit (Architektur)fotografie beschäftigt, merkt bald, dass dies ein sehr erschöpfender Themenkomplex ist. Kapitel über die notwendige Ausrüstung oder auch die Backupstrategien inklusive NAS und Cloud sind im Buch viel zu oberflächlich und bringen keinen wirklichen Nutzen, da man ohnehin andere Quellen hinzuziehen muss. Insofern ist es kein Fehler, dass etwa die Panoramafotografie oder das Arbeiten mit Filtern im Buch gleich gar nicht erwähnt werden.

Jedoch gibt der Autor interessante Einblicke in seine Gedanken im Vorfeld preis: Führt das Motiv zur Idee oder findet die Idee das Motiv? Wie erreicht man vor Ort eine Art “Flow”, der einem hilft, eigene Emotionen wahrzunehmen und so bewusster das Motiv bildgestaltend umzusetzen. Denn im bewusstseinsnahen Zustand erreichen uns nur die stärksten Eindrücke, “das besonders Sensationelle”. Die feinen im Vorbewusstsein angesiedelten Stimmungen aber bleiben sonst schwer greifbar.

Die dazwischen gestreuten Exkurse vertiefen dabei die Theorieblöcke, lesen sich spannend und bieten viel Hintergrundinformation wie beispielsweise manche Kuratorenführungen von Ausstellungen. Sie sorgen für einen ausgewogenen Mix aus Theorie und Praxis und helfen, das Thema Motiverarbeitung und fotografische Dramaturgie durch ausgezeichnete Bildbeispiele zu erarbeiten. Gedanken über Symbolik beziehungsweise den Zusammenhang zwischen Bildtiefe und Bildwirksamkeit regen zum Nachdenken an. Wo befindet man sich mit seinen bisherigen Abbildungen?

Obwohl das Kapitel über die Grundsätze der Komposition gelungen ist, wären hier vertiefende Literaturhinweise sicherlich für viele Leser erfreulich. Das in der Urbex und Lost-Places Szene leicht vergessene und problematische Thema der rechtlichen Aspekte wird ebenfalls kurz angeschnitten.

“Architektur in Schwarzweiß” ist ein ungewöhnliches Buch über Architekturfotografie, das seine Schwerpunkte auf die Bildidee, die Komposition und den eigenen Ausdruck legt. Es zeigt, wie man mit praktischen Übungen und Tipps die eigenen Empfindungen vor Ort wahrnimmt und durch einen bewussten Gestaltungswillen starke und persönliche Bilder erschafft. Durch diesen persönlicheren Zugang unterscheidet es sich deutlich von anderen Publikationen zu dem Thema. Leser, die sich tiefer zum Thema Ausrüstung, Aufnahmetechnik oder aufwändiger Bildbearbeitungstechniken wie HDR informieren wollen, sei ein anderes Buch empfohlen.

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