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André Wiesler im Interview - eine große Herausforderung

Beitrag von Stefan Cernohuby | 20. September 2008

Der gebürtige Wuppertaler André Wiesler ist sicherlich jedem Leser von Romanen der Welten Shadowrun und Das Schwarze Auge ein Begriff. Zudem war sein Name im Bereich der Rollenspiele aufgrund seiner Tätigkeit als Chefredakteur des Magazins Envoyer und des Science-Fiction-Rollenspiels LodlanD stets präsent. Seit er allerdings im Heyne-Verlag die ersten beiden Romane seiner Reihe „Die Chroniken des Hagen von Stein“ veröffentlicht hat, ist es ihm gelungen, seine Werke einer weitaus größeren Leserschaft zu präsentieren. Denn der Erzählung gelingt es, historische Elemente, düstere Legenden und Fantasy miteinander zu verbinden.
Anlässlich des Erscheinens des letzten Bandes der Trilogie „Die Chroniken des Hagen von Stein“ mit dem Titel „Wolfsfluch“ baten wir André Wiesler zu einem Interview. Einer Bitte, der er uns auf der Ratcon in Dortmund dankenswerterweise gerne nachgekommen ist.

(c) Claudia CernohubyStefan Cernohuby: Anfang Oktober 2008 erscheint der letzte Band von „Die Chroniken des Hagen von Stein“. Wie ist es zu dieser Serie eigentlich gekommen?

André Wiesler: Oh, die hat einen langen Weg hinter sich. Erst war die Geschichte als Drehbuch für einen Film rund um Werwölfe und Vampire konzipiert. Ich hatte gerade ein vorzeigefähiges Exposé fertig, da kam „Underworld“ in die Kinos (lacht). Darum verschwand die Geschichte erst mal in der Schublade, ließ mich aber nicht los. Als ich mich dann bei Heyne vorstellte, fiel sie mir wieder ein. Ich habe also die Struktur und auch weite Teile des Inhalts umgeschrieben und für ein Buch tauglich gemacht. Tatsächlich war der Verlag interessiert, bat mich aber, den Antagonisten Hagen von Stein doch ein bisschen „tiefer“ zu machen, also mit mehr Hintergrund zu versehen. Also habe ich mich hingesetzt und für den unsterblichen „Bösewicht“ auf sieben Seiten ein paar hundert Jahre Vergangenheit entwickelt. Die gefielen dem Verlag dann so gut, dass man mir vorschlug, diese Vergangenheit in zwei Bänden zu erzählen und ich war natürlich begeistert. Somit ist der dritte Teil eigentlich als erster entstanden - obwohl die Endversion nicht mehr viel mit der Ursprungsidee zu tun hat.

SC: Du sagst, dass du Hagen von Stein eigentlich als Bösewicht mit Geschichte entworfen hast. Das bedeutet, dass er eigentlich nicht als Sympathieträger konzipiert war. Trotzdem erscheint er in den historischen Passagen der ersten beiden Bände zwar als skrupel- und gnadenlos, dennoch sieht man ihn als Leser nicht als den „Schurken“, da man seine Motivation ja durchaus nachvollziehen kann. Hat sich diesbezüglich der Charakter ein wenig selbstständig gemacht?

AW: Die Perspektive hat sich verschoben, würde ich sagen. Im ersten Entwurf sollte die Geschichte nur aus Georgs Sicht beschrieben werden, da erscheint der Gegenspieler natürlich als durchweg böse. Indem der Leser aber Hagens Perspektive miterlebt, kann er seinen Werdegang nachvollziehen. Ein glaubhafter Bösewicht ist ja immer der Meinung, er sei der „Gute“ (lacht).

(c) Claudia CernohubySC: Du hast dich in der Serie auf alternative Art und Weise den schon relativ festgefahrenen Themen Vampir, Werwolf und Hexe angenähert. Denn die heute „üblichen“ Klischeetypen entstehen bei dir erst aus ihren Urformen heraus. Woher stammt dieser Einfall?

AW: Ich habe mich bei der Recherche recht eingehend mit dem Thema befasst und dabei fällt schnell auf, dass die „typischen“ Werwölfe und Vampire eine sehr junge Erfindung sind. Vor dem 19. Jahrhundert sah man diese mystischen Wesen gänzlich anders - etwas davon habe ich versucht in meine Reihe einfließen zu lassen. Dennoch wollte ich natürlich auch ganz klassische Werwölfe und Vampire mit in die Gleichung einbringen - da lag die Idee nah, unterschiedliche Gattungen zu schaffen.

SC: Was erwartet den Leser im letzten Band der Trilogie, natürlich ohne das Ende vorwegzunehmen?

AW: Die Erzählstränge aus den ersten beiden Bänden werden verbunden und das sorgt für ein großes Finale. Die Geschehnisse auf dem Weg dorthin führen zu tiefgreifenden Veränderungen im Leben Hagen von Steins und Georg von Vitzthums, der schlussendlich einsehen muss, dass er nun Teil der übernatürlichen Welt ist. Zudem werden alle offenen Fragen aus den vorherigen Bänden beantwortet und nicht zuletzt kommt eine ganz besondere Frau ins Spiel.

SC: Was sind deine persönlichen Lieblingsszenen in der Reihe?

AW: Ich mag die Szene, in der Georg Acheloos besucht, den halb-wahnsinnigen Hexer, der in der Kölner Kanalisation lebt und das Finale des ersten Bandes gefällt mir in seiner Morbidität auch sehr gut. Im dritten Teil ist es das Werwolf-Duell in der Schwebebahn und in Teufelshatz habe ich viel Spaß an der Szene, in der die einschneidende Veränderung im Verhältnis von Eberwin und Hagen herbeigeführt wird.

SC: Du hältst ja nicht nur Lesungen, sondern auch interaktive Vorträge zu verschiedenen Themen. Wie sehen diesbezüglich deine Pläne für das restliche Jahr 2008 aus?

(c) Claudia CernohubyAW: Ich habe unlängst meinen Vortrag „Von Blutsaugern, Hexen und Menschenfressern“ zur Bühnenreife gebracht, der Vampire, Werwölfe, Hexen und die Inquisition mit Hilfe von interessanten und amüsanten Fakten behandelt. Zwischendurch lese ich immer wieder Szenen aus meinen Büchern. Mit diesem Vortrag „toure“ ich 2008 durch Deutschland. Die Termine sind auf meiner Homepage einzusehen.

SC: Da ja auch „Wolfsfluch“ ursprünglich als Drehbuch geplant war und Fantasy- Verfilmungen weiter am Vormarsch sind, drängen sich zwei Fragen auf: Könntest du dir deine „Hagen von Stein“-Trilogie in verfilmter Form vorstellen, beziehungsweise gab es diesbezüglich schon Anfragen?

AW: Ich denke, dass Hagens Geschichte durchaus das Zeug zum Kinofilm oder gar zu einer Trilogie hat. Es müsste dann allerdings wegen der historischen Kulissen und der Spezialeffekte schon eine Produktion im zweistelligen Millionenbereich werden, um richtig toll zu werden. Andererseits sind die Effekte heutzutage so gut und billig, dass vielleicht auch eine mehrteilige Fernsehfilmreihe dem Stoff gerecht würde. Anfragen gab es meines Wissens nach bisher jedoch noch nicht.

SC: Gibt es ein Thema, zu dem du schon immer etwas schreiben wolltest und wozu du dich noch nicht durchringen konntest?

AW: Eigentlich nicht - es gibt jedoch sehr viele Ideen, die mangels Zeit oder Verlag bisher noch nicht realisiert wurden.

SC: Was sind deine nächsten Pläne oder Projekte? Willst du dich weiter in dem Genremix Historisch-Horror-Fantasy betätigen, wieder Science-Fiction à la Shadowrun schreiben oder doch einmal etwas ganz anderes probieren?

AW: Der zweite Teil meines Shadowrun-Romans Shelley hängt wegen der noch offenen Lizenzfrage für SR-Romane in der Luft, ist aber noch nicht vom Tisch. Ansonsten stehe ich gerade mit mehreren Verlagen wegen weiterer Projekte in Verhandlung. Es kann ein SF-Thriller werden, aber auch ein Historienroman oder eine Fantasy-Reihe, besonders freuen würde ich mich aber, wenn meine Idee zu komischer Mystery realisiert würde. Ansonsten ist mein Sohn Lorenz, gerade fünf Monate alt geworden, zzt. mein größtes Projekt. (lacht).

(c) Claudia Cernohuby
Durch so kooperative Interviewpartner gelingt es sogar kleingewachsenen Redakteuren,
sich in ungeahnte Höhen aufzuschwingen.
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