Ein europäisches Karussell

Unser Sonderberichterstatter

von Florin Lacarescu
Rezension von Claudia Cernohuby | 05. Juni 2014

Unser Sonderberichterstatter

Der Journalismus heutzutage treibt immer wieder seltsame Blüten. Gibt es keine interessante Story, wird eine wenig interessante aufgepeppt, ist nicht einmal diese vorhanden, wird kurzerhand etwas erfunden.

Eine größere Stadt in Rumänien, kurz nach dem Ende des Kommunismus. Der plötzliche Unfalltod eines großen und bekannten rumänischen Journalisten ist der Ausgangspunkt der weiteren Geschichte. Der Präsident der Republik beschließt, dem Begräbnis beizuwohnen, was zu großer allgemeiner Aufmerksamkeit führt. Eine Horde von Journalisten, unter ihnen der Reporter Antonie, drängt sich, um Fotos und Statements zu erhalten, aber auch der Terrorist Mohammed plant zu erscheinen. Er sieht die Beisetzung als Chance, den Präsidenten in die Luft zu sprengen und somit eine Aktion gegen den verhassten Westen zu führen. Aber weder alle Journalisten, noch alle Terroristen sind gut in ihrem Job und es landen beide "Präsidentenjäger" in der gleichen leeren Kirche. Das Begräbnis wurde aus Sicherheitsgründen kurzfristig in eine andere Kirche verlegt und so gehen beide leer aus und finden sich in einem Gespräch wieder. Mohammed, der sich vom fahrgastterrorisierenden Notbremsenzieher in einen potentiellen Präsidentenmörder verwandelt hat, berichtet dem Journalisten von seinem Plan, die "westlichen Schweine" mit seinem Attentat treffen zu wollen. Antonie überzeugt ihn davon, dass die Rumänen das leider nicht wären, sondern maximal werden wollten, und macht sich auf den Weg zum tatsächlichen Veranstaltungsort während Mohammed unverrichteter Dinge zurückbleibt.
Der Journalist erreicht schließlich die Pressekonferenz des Präsidenten und wird dort irrtümlich für einen Attentäter gehalten, was ihm die Bekanntschaft mit der Faust eines Leibwächters einbringt, die ihn ins Land der Träume schickt. Dort erlebt er Abschnitte seines einzigartigen, bunten Lebens erneut. Antonie, der frühere ""Wilde"", wuchs abseits der Gesellschaft auf, erst bei seinem Vater, dann bei einem Mönch. Erst spät - und erst nach dem Ende des kommunistischen Regimes - gelangte er in die Zivilisation. Dort arbeitet er nun für die Zeitung, die einst seine Geschichte groß herausgegeben hatte, als eine Art Sonderberichterstatter.

Florin Lazarescu zeichnet ein Bild des postkommunistischen Rumäniens und die Auswirkungen der Ära Ceausescu auf die ihr nachfolgende Generation. Die Grauen und Absurditäten des Regimes sind ebenso zentraler Inhalt des Buches, wie die Kritik am immer banaler und populistischer werdenden Journalismus, der Wandel Rumäniens zu einer westlicheren Gesellschaft und die Religion als allgegenwärtiger Bestandteil dieser Gesellschaft.
Alle wesentlichen Charaktere haben eine Geschichte, und der Leser lernt, aus welchen Gründen sie zu Terroristen, Journalisten oder cholerischen Chefs wurden.
"Der Sonderberichterstatter" ist ein humorvolles, teilweise zynisches Buch mit vielen surrealen Elementen und von sehr hoher Qualität. Die Charaktere sind ausgefallen und interessant, jede einzelne Lebensgeschichte fasziniert. Der Autor wechselt allerdings rasch zwischen den handelnden Personen, springt manchmal leider ein wenig hektisch wirkend hin und her, was es nicht leicht macht, der durchwegs komplexen Geschichte zu folgen. Die Zusammenhänge zwischen den oft skurrilen Begebenheiten und Erlebnissen der Charaktere werden dadurch noch schwerer erkennbar. Florin Lazarescu gewann mit diesem Buch den zweiten Preis beim osteuropäischen Kulturpreis der österreichischen Bank Austria im Jahr 2006.

Das Buch "Der Sonderberichterstatter" unterhält, wenn auch nicht mit Banalitäten. Es bietet jedenfalls einen kleinen Einblick in die moderne rumänische Literatur, die wahrscheinlich den meisten "westlichen" Lesern weitgehend unbekannt ist. Es ist interessant und definitiv jedem zur empfehlen, der sich nicht von absurd oder skurril wirkenden Erzählungen abschrecken lässt.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
  • Gewalt:
    Keine Bewertung
  • Gefühl:
    Keine Bewertung
  • Erotik:
    Keine Bewertung

Könnte Ihnen auch gefallen: