Deutsches Haus

von Annette Hess, Eva Meckbach (Sprecher*in)
Rezension von Janett Cernohuby | 23. Oktober 2018

Deutsches Haus

Deutschland 1963. Seit fast zwanzig Jahren ist der zweite Weltkrieg vorbei. In Deutschland ist Normalität eingekehrt, das Leben geht weiter, die Menschen schauen nach vorn. Doch für einige sind die Schrecken der Nazi-Zeit, insbesondere die der Konzentrationslager noch lange nicht abgeschlossen. Sie verlangen Gerechtigkeit, sie fordern Strafe. Und so kommt es, dass 1963 weitere Prozesse gegen SS-Offiziere beginnen: die Auschwitz-Prozesse.

Eine Dolmetscherin auf der Suche nach Antworten

Die 24-jährige Eva, jüngste Tochter der Wirtsleute Bruhns und gelernte Dolmetscherin, wartet sehnsüchtig darauf, einen Heiratsantrag von ihrem Jürgen zu bekommen. Doch stattdessen erhält sie zunächst einen neuen Auftrag. Sie soll bei einer Zeugenaussage übersetzen. Eva wundert sich über das, was sie dort hört. Der Zeuge erzählt von Menschen, die in einen Raum gesperrt und grausam ermordet wurden. Es dauert etwas, bis ihr klar wird, dass es bei diesem Fall um die Gräueltaten im Konzentrationslager Auschwitz geht. In weiterer Folge wird Eva gebeten, auch während des Prozess zu übersetzen. Ihre Eltern und ihr zukünftiger Verlobter sind jedoch dagegen. Sie wollen mit den Geschichten von damals nichts zu tun haben. Doch Eva spürt, dass es das richtige ist, dass sie helfen muss, damit diesen Menschen Gerechtigkeit widerfährt. Was sie dabei nicht ahnt, dass sie damit alte Erinnerungen hervorruft, die auch ihr eigenes Leben grundlegend verändern werden.

Deutsches Haus - hier zählen die guten, alten Werte

Annette Hess schrieb mit „Deutsches Haus“ mehr als nur einen Unterhaltungsroman. Es ist ein Stück Zeitgeschichte, erzählt anhand der Geschichte von Eva Bruhns, Tochter eines angesehenen Wirtes, Dolmetscherin und zukünftige Verlobte eines Frankfurter Geschäftsmannes. Annette Hess lässt ihr Publikum eintauchen in die Zeit der 1960-iger Jahre, als man durch Schweigen die Vergangenheit verblassen lassen wollte. Als sich deutsche Familien wieder dem Leben, der Freude zuwandten und die NS-Verbrechen als schrecklich, aber auch lästig empfanden. Man versuchte eine Fassade aufzubauen, sich dahinter zu verstecken und so die Vergangenheit verblassen zu lassen. Doch das ging nicht so einfach. Denn noch immer gibt es den Ruf nach Vergeltung, und das zurecht. Und so beginnen die Ausschwitz-Prozesse, in denen Opfer zu Wort kommen, von den Schrecken in Ausschwitz erzählen, von dem Selektieren auf der Rampe, von den Gewalttaten, den Folterungen, den Morden. Mittendrin sitzt unsere junge Protagonistin, übersetzt und ist schockiert von dem, was sie dort hört. Doch fast schlimmer noch ist die Reaktion ihrer Familie und ihres Verlobten. Von letzterem weiß sie, dass sein Vater in einem KZ interniert war, dass die Schatten noch immer über der Familie liegen. Doch warum begegnen ihr ihre Eltern mit Schweigen, Ablehnung und Ignoranz? Warum ist ihre ältere Schwester so kaltherzig? Sehr, sehr langsam muss Eva erkennen, welches dunkle Geheimnis auf ihrer Familie lastet. Und sie muss eine schwere Entscheidung treffen.
Der Roman geht unter die Haut. Nicht allein wegen der Ausschwitz-Prozesse, sondern auch wegen der Frage nach der Schuld und den Verstrickungen der Familie Bruhns. Mit der NS-Zeit und unter dem Mantel aus Schweigen und Vergessen, den sich die Familie selbst umgelegt hat.

„Deutsches Haus“ von Annette Hess ist ein fesselnder Roman über den ersten Ausschwitz-Prozess in Frankfurt. Er ist ein Stück Zeitgeschichte, als Unterhaltungsmedium aufbereitet. Annette Hess zeigt, wie man es schaffte, mit dieser düsteren Erinnerungen weiterzumachen, nach vorne zu schauen und unter dem Deckmantel des Verdrängens die heile Familienidylle zu zelebrieren.

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