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Die Machiavellis der Wissenschaft: Das Netzwerk des Leugnens

von Erik M. Conway, Naomi Oreskes
Rezension von Elisabeth Binder | 18. Dezember 2014

Die Machiavellis der Wissenschaft: Das Netzwerk des Leugnens

Der Titel könnte skeptisch machen: wieder ein Beitrag mehr zum Thema Weltverschwörung? Weit gefehlt! Mit dem vorliegenden Buch, das im Jahr 2010 veröffentlicht wurde, legen die Wissenschaftshistoriker Oreskes und Conway eine detailreiche und akribisch recherchierte Studie über die Strategie vor, die seit ihrer ersten erfolgreichen Anwendung durch die Tabakindustrie auch in anderen Bereichen dazu beiträgt, dass wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse über gesundheits- und umweltschädigende Auswirkungen einer ungebremsten Industrialisierung im öffentlichen Bewusstsein in Zweifel gezogen werden.

Bei den namensgebenden "Macchiavellis der Wissenschaft" handelt es sich um Frederick Seitz (1911-2008, Physiker), Fred Singer (* 1924, Physiker), William Nierenberg (1919 - 2000, Physiker) und Robert Jastrow (1925 - 2008, Physiker), allesamt gestandene Kalte Krieger, die sich am Ende ihrer wissenschaftlichen Laufbahn mit so unterschiedlichen Phänomenen wie dem Passivrauchen, dem Ozonloch, dem sauren Regen oder der globalen Klimaerwärmung auseinandersetzten.

Die Regeln naturwissenschaftlicher Forschung, also auf Basis von Beobachtungen und kontrollierten Experimenten nachvollziehbare Analysen und Erklärungen für Naturphänomene zu liefern, wurden von diesem physikalischen Quartett bereitwillig, systematisch und immer zugunsten von Industrieinteressen in Zweifel gezogen (daher auch der wesentlich passendere Titel des englischen Orignals: Merchants of Doubt). Das Geld für diese Art von Forschung kam entweder direkt aus der Industrie oder wurde über den Umweg von eigens für diesen Zweck gegründeten "wissenschaftlichen" Instituten verteilt.

Was die genannten Herren für Industrieinteressen so wertvoll machte, war deren mangelnde Scheu, die Regeln der scientific community, wie z.B. peer review (also die Evaluierung und Qualitätssicherung von Forschungsergebnisse durch gleichrangige Experten) über Bord zu werfen, so lange dies ihre offensichtlich feste Überzeugung von der Erhaltung eines freien Markts unterstützte. Wie Oreskes und Conway in der Einleitung feststellen: "Es war die Absicht, die Wissenschaft mit Wissenschaft zu bekämpfen. Zumindest sollten die Schlupflöcher und Unsicherheiten in der Forschung dafür benutzt werden, vom Wesentlichen abzulenken." (S. XXIV)

Wie kommt es dazu, dass diese Strategie so erfolgreich werden konnte und noch immer ist? Wissenschaftliche Forschung ist eine höchst komplexe Angelegenheit und die Unterscheidung zwischen abgesicherten Forschungsergebnissen und wissenschaftlich verbrämter Ideologie ist für Journalisten oft nur schwer zu treffen. Dazu kommt die "Fairnessdoktrin" in den (US-) Medien, also die Gleichbehandlung beider Seiten bei widersprüchlich Meinungen, auch wenn eine Seite mit gezinkten Karten spielt, also bewusst die Regeln wissenschaftlicher Integrität verletzt. Glücklicherweise, für die Vertreter der "Tabakstrategie", entstand auch das Internet, denn, wie die Autoren so treffend bemerken, "durch das Internet stirbt die Desinformation nie aus" (S. 309). In einer Zeit, wo die auf Googles proprietären Algorithmen basierenden Suchergebnisse als Recherche durchgehen, gelangen Unrichtigkeiten zu einer erhöhten Wahrnehmung - schon allein durch häufige Wiederholung. Die Autoren beobachten allerdings auch, dass sich seriöse Wissenschaftler, aus den verschiedensten Gründen, oft zu wenig um die öffentliche Wirkung ihrer Forschungsergebnisse kümmern.

Dem Verlag ist die Übersetzung dieses doch etwas sperrigen Buchs auf jeden Fall hoch anzurechnen. Für Eilige empfehle ich die Lektüre der Kapitel 1 ("Unser Produkt ist der Zweifel"), 8 (Fazit: Von freier Rede und freien Märkten") und 9 ("Epilog: Eine neue Sicht auf die Wissenschaft"). Die dazwischenliegenden Kapitel stellen detaillierte Fallstudien dar, die auch unabhängig voneinander gelesen werden können.

Das Buch hätte sicherlich von einem ergänzendem Vor- oder Nachwort zusätzlich profitiert, das den Stand der Dinge aus einer europäischen/deutschsprachigen Perspektive ergänzt. Die Strategie des Zweifels hat sicherlich auch in Europa ihre Anhänger, wie der seinerzeitige Erfolg des Dänen Bjoern Lomborg (Apokalypse No!) vermuten lässt. Das ist aber ein zu vernachlässigender Mangel, denn die Autoren geben aufmerksamen LeserInnen das Rüstzeug für kritisches Denken in die Hand.

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