Krähenmutter

von Catherine Shepherd
Rezension von Brigitte Halek | 10. Oktober 2016

Krähenmutter

Erblickt man auf dem Cover eines Thrillers einen Kinderwagen, auf dessen Griffbügel eine Krähe sitzt, lässt dies eine unheimliche Geschichte um Kinder erahnen. Um Krähen und Raben ranken sich zahlreiche Märchen und Sagen und in der Mythologie stehen sie als Symbol für Weisheit. Schon die alten Götter kannten deren Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit. Parallel dazu gilt die Krähe auch als Galgen- oder Pechvogel und der schwarze Rabe steht als Zeichen für das böse Tier. Der Titel „Krähenmutter“ weckt jedenfalls Interesse und Neugierde auf die Geschichte.

Der erst sechs Monate alte Henry wird mitten am Tag aus der Kosmetikabteilung eines Supermarkts entführt, während seine Mutter Sophie Nussbaum intensiv damit beschäftigt ist, Lippenstifte zu testen. Die Untersuchung dieses schrecklichen Falls von Kindesentführung übernehmen die Spezialermittlerin Laura Kern und ihr Kollege Max Hartung vom Landeskriminalamt Berlin. Laura wurde selbst im Alter von elf Jahren Opfer einer Entführung und konnte nur durch Zufall dem Gewalttäter entkommen. Einerseits leidet sie unter den physischen und psychischen Narben dieses schrecklichen Ereignisses, andererseits helfen ihr diese Erfahrungen und ihre Intuition bei außergewöhnlichen Ermittlungen. Zunächst gibt es keine Lösegeldforderung, was bei Kindesentführung unüblich ist. Als sich der Kindesvater, der schwerreiche Unternehmer Matthias Nussbaum, an die Presse wendet, erweckt dies bei Laura und Max den Eindruck, es könnte sich um eine geplante Entführung handeln. Dieser Zweifel zerstreut sich, sobald doch eine Lösegeldforderung gestellt wird und Matthias Nussbaum bei der Geldübergabe spurlos verschwindet. Die weiteren Ermittlungen bringen widersprüchliche Zeugenaussagen und Ungereimtheiten. Zusätzlicher Druck kommt von Seiten des Innenministeriums. Die Kontakte Nussbaums reichen in die höchsten Kreise der Politik. Noch während die Ermittler im Dunkeln tappen, wird ein weiteres Kind im selben Supermarkt entführt. Die Lage spitzt sich zu als ein Serientäter, der „Pärchenmörder“, in Berlin wieder zuschlägt. Laura folgt einer Spur und bringt sich durch ihre Leichtsinnigkeit in Gefahr.

Der Thriller wird über zwei Handlungsstränge erzählt. Auf einer Handlungseben sind einige Sequenzen aus der Sicht des namenlosen 10jährigen Jungen, der von seiner Mutter nur „Baby“ genannt wird. Er ist nie zur Schule gegangen und er darf das Haus kaum verlassen. Er liebt seine Mutter innig. Jene nimmt immer wieder Babys bei sich auf, kümmert sich rührend um sie und nach einiger Zeit setzt sie diese wieder aus. Anfangs ist die Rolle des Jungen unklar, doch je mehr man über seine Lebenssituation erfährt, umso klarer werden die Zusammenhänge. Dennoch gibt es einige Überraschungen.
Der zweite Handlungsstrang dreht sich um die Ermittlungsarbeiten von Laura Kern und Max Hartung. Das Ermittlerduo wirkt von Anfang an sympathisch. Der attraktiven Laura, die ihr Trauma und die Angst vor partnerschaftlicher Nähe durch Flucht in die Arbeit zu verdrängen versucht, steht der Familienmensch Max gegenüber, welcher mit großer Mühe versucht, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Die Tatsache, dass beide einmal eine Affäre hatten, sorgt für zusätzliche Spannung zwischen beiden. Während Laura bis spät in die Nacht am Fall dranbleiben will, entscheidet sich Max immer öfter, zu seiner schwangeren Frau nach Hause zu fahren. Ob Laura da weiter mitspielt wird vielleicht in einem weiteren Band geklärt? Anders läuft das Verhältnis zwischen Laura und Taylor Fields, jenem Ermittler, der für den Fall des Pärchenmörders zuständig ist. Er zeigt Interesse für Laura als Ermittlerin und führt mit ihr intensive, lange Gespräche über die Arbeit. Aber er macht auch Annäherungsversuche, was Laura zurückschrecken lässt. Taylor als Nebencharakter überzeugt mit Verständnis und Hartnäckigkeit.

Der Schreibstil von Catherine Shepherd ist klar, emotional und ausdrucksstark, was ein flüssiges und rasches Lesen ermöglicht. Der Thriller ist spannend und realitätsnah. Das Szenario könnte sich jederzeit so ereignen. Die Autorin verzichtet auf Gewalttätigkeit und blutige Szenen und erzeugt Spannung durch Unvorhersehbares und geschickte Wendungen. Vor allem im letzten Drittel gelingt es ihr, die Neugier auf die Lösung zu steigern. Die einzelnen Personen, ob sympathisch oder unsympathisch, ob tendenziell gut oder eindeutig böse, werden so beschrieben, dass ihre Handlungsweisen und Verhaltensformen schlüssig sind. Dieses Buch ist ein Lesegenuss für jeden Thriller-Fan.

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Bewertung

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