Das Geheimnis jenes Tages

von Annette Dutton
Rezension von Elisabeth Binder | 26. Oktober 2015

Das Geheimnis jenes Tages

Kochbücher bestehen zumeist aus Rezepten, Romane aus Geschichten. Wenn man die beiden Genres mischt, dann hat man ein ziemlich gutes Bild von einem Roman aus der Feder von Annette Dutton. Man nehme: ein historisches Ereignis und/oder eine historische Persönlichkeit, die in einem Zusammenhang mit der australischen Wahlheimat der Autorin steht, eine Frau, die sich auf deren Spur begibt, gewürzt mit einer ordentlichen Prise Liebesgeschichte.

Den historischen Teil nimmt dieses Mal das Leben der Amalie Dietrich ein. In den Jahren 1863 bis 1873 sammelte sie Australien im Auftrag des naturwissenschaftlich interessierten Hamburger Reeders Godeffroy mehr oder weniger im Alleingang unter zum Teil widrigen Bedingungen eine große Anzahl an botanischen und zoologischen Präparaten, darunter eine Unzahl von Pflanzenarten, die von ihr entdeckt bzw. klassifiziert wurden. Unter den Präparaten befanden sich jedoch nicht nur gepresste Pflanzen und ausgestopfte Tiere, sondern auch menschliche Schädel und ganze Skelette von australischen Ureinwohnern, vorwiegend zum Zweck der damals in Mode gekommenen anthropologischen Forschung mit deutlichem eugenischem Einschlag. Genau diese Reste der Sammlung Godeffroy, die den Verkauf an die Universität Leipzig und einen Bombenangriff im Jahr 1943 überlebt haben, bilden die Überleitung in das Jahr 2009. Da macht sich Nadine Weber, ihres Zeichens Archäologieprofessorin an der Universität Leipzig, daran, die auf diplomatischer Ebene ausgehandelte Übergabe der Skelette an die australischen Aborigines zu begleiten. Ihre in schwerer Spätpubertät befindliche 18jährige Tochter Alina begleitet sie auf dieser Reise, die auch als Mutter-Tochter-Verständigungsevent gedacht ist. Vor Ort in Australien wird dann auch noch ein historisches Ereignis der jüngeren Vergangenheit, nämlich der sogenannte Rucksack-Mörder, in die ohnehin schon symbolisch überfrachtete Geschichte miteinbezogen. Denn kurz nach der Ankunft in Australien verschwindet Alina von der Bildfläche und Nadine, die seit ihrem 16. Lebensjahr darunter leidet, dass sie sich - natürlich ungerechtfertigt - für den Erfrierungstod ihrer jüngeren Schwester verantwortlich fühlt, muss jetzt um das Leben ihrer Tochter fürchten. Bis zum erwartungsgemäß glücklichen Ende der Geschichte werden dann noch einige "Geheimnisse" und alle emotionalen Zweideutigkeiten aufgelöst.

Das Befolgen des Rezepts trägt nicht unbedingt zum Lesevergnügen bei. Am Ende sind die unterschiedlichen Handlungsstränge und Zeitebenen, zwischen denen mit zunehmender Frequenz gesprungen wird, nicht schlüssig miteinander verwoben. Das, was am Anfang spannend beginnt, lässt spätestens nach 100 Seiten sehr stark nach. Der Teil des Romans um das Leben von Amalie Dietrich, der als historischer Roman durchaus seine Stärken hätte, wird durch den Zwang alle Erzählstränge unbedingt miteinander zu verbinden wieder zunichte gemacht. Das ist eigentlich schade, denn die Geschichte der Amalie Dietrich, die für ihre Zeit Außergewöhnliches geleistet hat, verdient auf jeden Fall eine nuanciertere Betrachtung als die Geschichtsklitterung in "Geheimnis jenes Tages". Annette Dutton wäre durchaus gut beraten, nicht jedes von ihr aus dem Fundus der Geschichte hervorgeholte "Geheimnis" auch gleich auflösen zu wollen.

Noch ein Tipp: Das politisch brisante Thema der Rückführung von menschlichen Überresten aus deutschen universitären Einrichtungen in ihr ursprüngliches Herkunftsland, wurde im 2015 erschienen Krimi "Der lange Schatten" von Bernhard Jaumann am Beispiel Namibita um einiges interessanter, spannender und schlüssiger verarbeitet.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gewalt:
  • Gefühl: