Erdsee


Die illustrierte Gesamtausgabe
von Ursula K. Le Guin
Rezension von Stefan Cernohuby | 29. Oktober 2018

Erdsee

Manchmal ist erst der Tod einer bekannten Schriftstellerin oder eines Schriftstellers der Anlass, sich mit deren Werken genauer auseinanderzusetzen. Als im Februar 2018 Ursula K. Le Guin starb, war sie Kennern der Fantasy und Science-Fiction durchaus ein Begriff, aber die Wirkung, die ihre Arbeit auf unterschiedliche Genres ausgeübt hat, war in ihrer Breite nicht wirklich bekannt. Mehrere Verlage im deutschsprachigen Raum, darunter allen voran Fischer Tor, haben sich nun daran gemacht, der amerikanischen Autorin jene Würdigung zuteilwerden zu lassen, die ihr zusteht. Und einer der größten Meilensteine dieser Aufgabe ist nun mit der illustrierten Gesamtausgabe von „Erdensee“ erschienen.

Ein junger Ziegenhirt namens Duny stellt fest, dass er gewisse Fähigkeiten hat, über die andere nicht verfügen. Auch seine Tante wird darauf aufmerksam. Und da jene Tante ein altes Zauberweib ist, beginnt sie, ihm beizubringen, wie man mit jenen magischen Kräften umgehen kann. Als ihr Heimatdorf eines Tages überfallen wird, gelingt es dem Jungen selbiges durch den Einsatz dieser Kräfte zu beschützen – woraufhin ein Magier ihn weiter unterrichtet, was aber nur eine Zwischenstation für ihn darstellt, auch wenn er dort seinen richtigen Namen erhält: Ged. Erst in der großen Magieschule auf der Insel Rok macht er wirkliche Fortschritte. Als er sich jedoch magisch übernimmt, bringt er andere in große Gefahr.
Der zweite enthaltene Roman dreht sich um das junge Mädchen Tena, welches Priesterin werden soll. In Atuan findet sie geheime Gänge, die sich zu einem Labyrinth ausbreiten, welche sie erkundet und schützt. Als sie eines Tages auf den Magier Ged stößt, setzt sie diesen fest, verhört und quält ihn. Erst als eine große Bedrohung immer akuter wird, beschließt sie, sich dieser gemeinsam mit ihm zu stellen.
Die Magie verliert ihre Macht und Arren, der Prinz von Enland, will eine Lösung finden. Gemeinsam mit dem Erzmagier Ged macht er sich auf die Suche nach dem Grund für dieses Phänomen, das unter anderem auch Menschen und Tiere in den Wahnsinn treibt. Doch das Ziel ihrer Reise liegt jenseits der Grenzen ihrer eigenen Welt...
Tenar hat sich niedergelassen und mit ihrem Mann zwei Kinder aufgezogen. Doch diese sind mittlerweile erwachsen und ihr Mann ist verstorben. Da nimmt sie das Mädchen Therru bei sich auf. Ein Kind, das in seiner Kindheit schlimmes erdulden musste und von seinem Vater missbraucht und verstümmelt wurde. Als Ged und Tenar einander wiedersehen, bleiben sie zusammen und stellen fest, dass Therru über große Macht verfügt und vielleicht noch eine wichtige Rolle einnehmen wird.
Mit den letzten beiden Werken, die in der Gesamtausgabe enthalten sind, werden sowohl Geschichte und Welt näher behandelt, als auch die Geschichten viele der Charaktere zu Ende geführt – knapp 40 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Romans.

Erdsee ist eine eigene Welt, die aus vielen großen und kleinen Inseln besteht. Die Konflikte zwischen den einzelnen Inseln und Reichen sind immer im Hintergrund präsent – manchmal natürlich auch im Vordergrund. Hier können und könnten noch immer unzählige weitere Geschichten angesiedelt werden, insbesondere da große Teile der Welt innerhalb der Romane nicht bereist wurden, man also wenig darüber weiß. Sehr deutlich ist auch aus diesem Werk herauszulesen, wie die Autorin über Hinblick auf Politik, Kriegstreiberei und Gesellschaft dachte. Etwas, das sie auch in ihrem täglichen Leben nie verheimlicht hat. Bis zuletzt hat sie in Medien und ihrem Blog ihre Gedanken zum aktuellen Zeitgeschehen und zu Veränderungen in der Gesellschaft preisgegeben. Ihre Bücher werfen für Charaktere und Leser gleichermaßen Fragen auf und lassen diese zumindest teilweise absichtlich unbeantwortet. Etwas das man ihr sehr zugute hält und sie heute zu einem Sinnbild für Emanzipation und schriftstellerische Größe in der Literatur macht, was auch ein ihr gewidmeter Talk mit zahlreichen Größen der Literatur im Programm der Frankfurter Buchmesse 2018 beweist (Think Ursula).
Mehr als ein halbes Jahr nach ihrem Tod ist nun „Erdsee – Die illustrierte Gesamtausgabe“ erschienen, übrigens auf Deutsch sogar einen Monat früher, als auf Englisch. Hier wurde von Seiten des Verlags keine Mühe gescheut, um wirklich ein beeindruckendes Werk bereitzustellen, das auch im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft 2018 perfekt platziert ist. Denn das Buch enthält nicht nur alle Werke über Erdsee sondern auch noch wichtige Anhänge, die sich mit Sprache, Gesellschaft, Organisationen und mehr beschäftigen.
Und – was man auf keinen Fall vergessen darf – man findet auch zahllose Illustrationen von Charles Vess, die sicherlich viel von dem widerspiegeln, was sich Ursula K. Le Guin selbst vorgestellt hat.
Insgesamt enthält der Prachtband daher spannende Geschichten, viel Stoff zum Nachdenken, anspruchsvolle Literatur und gleichzeitig phantastische Unterhaltung. Dazu kommen wunderschöne Illustrationen und wichtige Anhänge. Dies alles zusammen rechtfertigt den nicht unbeträchtlichen Preis von knapp 60 Euro völlig.

Monumental, umfassend, großformatig und wunderschön illustriert. Das sind nur einige der Attribute mit denen man Ursula K. Le Guins „Erdsee – Die illustrierte Gesamtausgabe“ bedenken könnte. Die Geschichte, die sich immer weiterentwickelt, immer mehr Ansätze zum Nachdenken bietet, die intelligent und kritisch erzählt wird und dabei immer wieder zeitkritische und philosophische Fragen eingearbeitet hat, ist für jeden Liebhaber der Phantastik eigentlich Pflichtlektüre. Der illustrierte Prachtband ist ein perfektes Geschenk.

Details

  • Originaltitel:
    The Books of Earthsea: The Complete Illustrated Edition
  • Verlag:
  • Genre:
  • Erschienen:
    09/2018
  • Umfang:
    1118 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • ISBN 13:
    9783596701605
  • Preis (D):
    58,00 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gewalt:
  • Gefühl:
  • Illustration:

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