Exit this City

von Lisa-Marie Reuter
Rezension von Manfred Weiss | 16. März 2021

Exit this City

Die drohende Klimakatastrophe und allgegenwärtiger Meinungs- und Gedankenaustausch mittels omnipräsenter sozialer Medien prägen die Welt. Heute schon, aber potentiell noch mehr in der nahen Zukunft. Gepaart mit einer stetig wachsenden Weltbevölkerung und der abnehmenden Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen. Eine Welt der Möglichkeiten, die immer mehr zu einer der Unmöglichkeiten wird.

Vor diesem Hintergrund hat Lisa-Marie Reuter ihren Zukunftsroman “Exit this City” angesiedelt. Es herrscht Nahrungsmittelknappheit auf der Erde. Der Lebensmittelkonzern FinalFood Inc. steuert global Produktion und Verteilung der natürlich produzierten Lebensmittel.
In Deutschland zieht eine immer größer werdende Gruppe von Protestierenden zur FinalFood Zentrale in Europa. Immer bedroht von genetisch manipulierten Z.O.M.Bee-Bienen, deren Stich für Menschen tödlich ist. Nur die Anführerin des Aufstandes, Veeru hat als bisher einzige den Stich einer Z.O.M.Bee überlebt. In Indien steuert gleichzeitig ein gewaltiger Staubsturm auf Dehli zu, in dem Marti mit seiner Riksha Lebensmittel verteilt und dealt, immer begleitet von seinem sprechenden Hund Ray. Marti ist dabei auch auf der Suche nach seiner verlorenen Identität, wird von mysteriösen Jägern verfolgt und versucht herauszufinden wer in dieser chaotischen Welt Freund und wer Feind ist, während überall Warnschilder die Menschen auffordern Dehli zu verlassen. Exit this City. Beide Geschichten sind am Beginn des Buches 57 Tage voneinander getrennt, aber Vergangenheit und Jetzt kommen sich Seite um Seite näher.

“Ghar” und “lautna”; Zuhause und umkehren

“Exit this City” ist ein bunter und fantasievoller Roman über eine chaotische zukünftige Welt im nächsten Jahrhundert. Manche Teile der Handlung wirken wie Traum- oder manchmal auch Albtraumfragmente, die sich zu einer vielschichtigen Geschichte verbinden. Indien, sowohl die Sprache als auch Speisen und kulturelle und mythologische Eigenheiten und Figuren sind in dem Roman allgegenwärtig. Einerseits dem Indologie-Studium, andererseits aber auch vielen Indienreisen der Autorin geschuldet.
Dieser Bezug zu Indien unterlegt dem Roman eine spannende und oft auch lehrreiche exotische Grundstimmung. Jedes Kapitel wird beispielsweise von einem Wörterbucheintrag zu einem indischen Wort eingeleitet. Jeweils mit Lautschrift und den verschiedenen Bedeutungen. Gerade diese ausgewählten Bedeutungen der Begriffe haben einen besonderen Charme. So bedeutet etwa das indische Wort “Ghar”, einerseits Haus oder Wohnung, andererseits aber auch Zuhause und Heimat oder das Wort “lautna” sowohl wiederkehren und zurückkehren, als auch umkehren. Eine spannende Vielschichtigkeit der Sprache.

Fantasie und Science Fiction

Die Handlung entwickelt sich zwischen den aus der Ich-Perspektive geschilderten Teilen, die Marti im Jetzt erzählt und den aus der Sie-Perspektive geschilderten Abschnitten Veerus und Pakshas, die sich aus dem Geschehen in der Vergangenheit mehr und mehr der Gegenwart von Martis Erlebnissen nähern.
Ab und zu ufern Fantasie und Handlungsstränge, vor allem der Geschichte von Veeru und ihren Anhängern, wild aus. Martis Welt ist dagegen, aufgrund der Ich-Perspektive und dem langsamen Zurückgewinnen seiner Erinnerung, immer wieder verwirrend und verworren. Aber am schönsten fasst folgender Satz aus dem Roman alles zusammen: “Ich kann jeden Ort zu meiner Bühne machen. Und wenn die Menge laut genug jubelt, beginnt die Show.” Manchmal ist die Welt doch einfacher, als man es ihr unterstellt.

“Exit this City” ist ein Roman für Science Fiction Leserinnen und Leser. Kombiniert mit den Bezügen zu Indien, in Kultur und Sprache, ein wenig auch ein Roman für Indien-Begeisterte. Allerdings ist es eher eine Science Fiction, die die Zukunft als Hintergrund der sehr fantasievollen Handlung verwendet und weniger mit besonderen wissenschaftlichen Annahmen und Thesen arbeitet. Wenn man sich auf diese Art von - manchmal fast traumsequenzenhafter - Fantasie einlassen mag, dann ist man mit dem Buch aber jedenfalls gut aufgehoben und unterhalten.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Gewalt: