Die Zelle

von Jonas Winner
Rezension von Nina Zeleny | 15. Februar 2016

Die Zelle

Der Titel "Die Zelle" allein verursacht bereits Gänsehaut, das leere Cover lässt schon Schlimmes vermuten und die eigene Fantasie in die tiefsten Abgründe wandern. Wenn dann auch noch ein kleiner Junge als Augenzeuge in die Geschichte verstrickt ist, ist die erste Spannung schon vorprogrammiert. Doch die Frage ist, ob die die Geschichte das Versprochene auch halten kann?

Der Umzug von London nach Berlin ist für den jungen Sammy nicht ganz so leicht. Er muss die gesamten Ferien in einer neuen Stadt verbringen, ohne jemanden zu kennen. Während er eines Tages ganz unverhofft seinen Vater auf dem neuen, riesigen Grundstück verfolgt, macht er zudem eine verstörende Entdeckung.
In einer Zelle unterhalb eines Nebengebäudes wird ein verängstigtes Mädchen festgehalten. Sammy kann nur durch einen Sichtschlitz Kontakt zu ihr aufnehmen. Als er am Tag nach seiner schauderhaften Entdeckung wieder nach ihr sehen will, ist sie verschwunden - und für Sammy beginnt ein Sommer voller Wahnsinn. Denn er hat einen grausamen Verdacht gegen seinen Vater.

Was vorneweg wie ein wirklich spannender und verstörender Thriller klingt, entpuppt sich leider relativ schnell als das Gegenteil. Die erste Hälfte muss man sich nur mit der verkehrten und der sich bis zur Langeweile wiederholenden Gedankenwelt eines kleinen verschreckten Jungen begnügen. Zwischen Überlegungen selbst zu handeln, seinen Vater anzuschwärzen oder einfach alles zu vergessen, drehen sich dessen Gedanken im Kreis und wiederholen sich von Mal zu Mal. Doch trotz der grausamen Entdeckung und dem schrecklichen Verdacht vermag es dieser kleine Junge nicht, dem Leser wirklich angst und bange werden zu lassen.
Auch in der zweiten Hälfte ist der Spannungsaufbau nur geringfügig besser, selbst wenn sich zumindest in der Story etwas bewegt. Man darf sich nicht mehr mit den Gedanken von Sammy rumschlagen, es kommen neue Charaktere hinzu und man kann zumindest einen kleinen Ansatz von Spannung sehen. Doch der wirklich große Aufhänger und der große Schocker fehlen immer noch.
Erst auf den wirklich letzten Seiten - im Prinzip beinahe erst als der Thriller schon zu Ende ist - kann die Geschichte endlich mit Wendungen und neuen Ansätzen überzeugen. Doch dieses kurze Aufflammen von Spannung und Gänsehaut macht die vorangehenden langen Seiten leider kaum noch wett.
Der Schreibstil tut sein Übriges zu der eher mäßig aufkommenden Spannung. Denn statt wirklich einen tollen Bogen zu spannen wird in Form von Sprachhektik, extrem kurzen Sätzen und andauernden Wiederholungen versucht, die Dramatik des Geschehens zu unterstreichen. Das mag in einigen wenigen Passagen vielleicht sogar gelingen, wirkt allerdings sehr bald aufgesetzt und einfach nur in die Länge gezogen, anstatt spannend.
Dazu kommt, dass die Figur von Sam niemals ein wirklich rundes Bild zustande bringt. Man hat es mit einem elfjährigen Jungen zu tun, der sich stellenweise verhält, redet, denkt und agiert wie ein Greis. Seine Aktionen sind in keiner Form altersgerecht, geschweige denn nachvollziehbar. Sam wirkt extrem überzeichnet. Das mag sich damit erklären lassen, dass die Geschichte von seinem 20 Jahre älteren Ich niedergeschrieben wird, doch trotzdem verleiht es der Handlung einen grauen Schleier und schalen Beigeschmack, wenn das Verhalten eines Elfjährigen zu keiner Zeit authentisch erscheint. Dazu wird der Junge nicht nur selbst viel zu erwachsen gezeichnet, er wird auch von den Autoritäten stellenweise viel zu erwachsen behandelt - gerade wenn es sich bei ihm um ein traumatisiertes Kind halten soll.
Anstatt wirklich eine spannende Story aufzuziehen bekommt man über die Seiten hinweg eher das Gefühl, dass sich der Protagonist ein bisschen in Selbstmitleid suhlt und die tragischen Entdeckungen bis heute nicht verarbeitet hat. Doch gerade dieses überzeichnete Selbstmitleid kommt beim Leser nicht wirklich an und macht den gesamten Aufbau der Geschichte eher langwierig bis nervig.

Die Geschichte hätte einen tollen Ansatz und hat ein letztes Kapitel, wie es sich so manch andere Thriller wünschen könnte. Doch im Gegenzug dazu können leider die restlichen Kapitel nicht überzeugen und daran kann auch ein tolles Ende nicht mehr viel ändern. Mit einer sehr langsamen Geschichte und einem Protagonisten, der überzogen und unrealistisch wirkt, kommt einfach keine Spannung auf.

Details

Bewertung

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