Das letzte Tabu


Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen
von Henning Scherf, Annelie Keil
Rezension von Katrin Hof | 10. Oktober 2016

Das letzte Tabu

Der Tod wird von der heutigen Gesellschaft tabuisiert und still und heimlich in Krankenhäusern und Pflegeheimen anonymisiert. Nichtsdestotrotz ist und bleibt er ein unausweichlicher Gegenspieler des Lebens. Die Autoren Annelie Keil und Henning Scherf plädieren für die gesellschaftliche Akzeptanz einer neuwertigen, sozialen Sterbekultur. Sie rufen in ihrem Buch „Das letzte Tabu - Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen“ dazu auf, den Tod in die Mitte unserer Gesellschaft zu rücken, um die Vergänglichkeit unseres Lebens versöhnlicher anzunehmen.

Der Tod eines geliebten Menschen ist eine unvergleichbare, individuelle Erfahrung. Diese wird für jeden Einzelnen erträglicher, sobald man die Endlichkeit des Lebens begreift, zu einem biografischen Rückblick ermutigt wird und den Tod ohne Verleugnung im Zentrum der Gesellschaft platziert. Persönliche, schmerzhafte Erfahrungen haben die Autoren Annelie Keil und Henning Scherf dazu veranlasst, auf ihre eigene Lebensgeschichte zurückzublicken und ihre Begegnungen mit dem Tod zu reflektieren. In ihrem Plädoyer zur Sterbenskultur wollen sie das Sterben zu einem integrativen Bestandteil der Gesellschaft machen und jeden Einzelnen dazu befähigen, „zum eigenen Komponisten seiner Schlussmelodie“ zu werden.

„Das letzte Tabu“ ist ein biografisches und gesellschaftspolitisches Buch, das verdeutlicht, dass sowohl innere, als auch äußere Offenheit gegenüber dem Tod wesentlich ist, um Abschied vom Leben nehmen zu können. Eingeleitet wird es mit einem Interview, das sehr eindrucksvoll und authentisch aufzeigt, mit welchen wesentlichen Themen hinsichtlich des Sterbens sich die Autoren bereits auseinandergesetzt haben. Durch diesen Diskurs sowie den persönlichen, historischen Schilderungen über Flucht- und Kriegserfahrungen in jungen Jahren, erhält der Leser einen kleinen Einblick in das, was ihn inhaltlich erwarten wird. Mit unzähligen biografischen Beispielen wollen die Autoren dazu animieren, sich nicht erst über den Tod Gedanken zu machen, wenn man krank oder alt ist. Ihrer Ansicht nach gehört das Sterben so im Leben positioniert, sodass man selbstbestimmt darüber Stellung beziehen kann, wie und wo man sterben möchte und wer einem dabei begleitend zur Seite stehen soll. Damit spannen die Autoren einen Bogen über die vielfach diskutierte gesellschaftliche Frage, wie man als Mensch sterben möchte. Neben der Hospizbewegung, die die Bedürfnisse der Sterbenden achtet und versucht, das Sterben wieder „gesellschaftsfähig“ zu machen, wird auch deutlich, dass die Selbstbestimmung bis zum Lebensende für die beiden Autoren etwas Essentielles ist, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Die philosophisch-politische Annäherung an Themen wie (assistierter) Suizid, Sterbehilfe, Bestattungskultur und individuelle, kulturelle Rituale werden zwar kritisch erläutert, aber manchmal zu erschöpfend debattiert. Das Buch richtet sich vielmehr an Menschen, die sich bereits mit dem Tod beschäftigt haben, denn Begrifflichkeiten wie beispielsweise Sterbehilfe und Suizid werden nicht ausreichend differenziert betrachtet und näher erklärt. Dies kann viele Fragen aufwerfen, die leider unbeantwortet bleiben, wie beispielsweise der Umgang mit dem plötzlichen, unerwarteten Tod, der in diesem Buch ausgeklammert wird. Die persönlichen Ansichten über das Sterben sind ermutigend, aufschlussreich und dienen jedem Einzelnen als Anreiz, sich eingehender mit dieser Thematik auseinander zu setzen. Für den interessierten Leser finden sich einige weiterführende Literaturhinweise, die nicht nur im Text, sondern zusätzlich im Anhang in einem Literaturverzeichnis besser aufgehoben wären.

„Das letzte Tabu“ von Annelie Keil und Henning Scherf ist eine Sammlung an unterschiedlichen persönlichen, ermutigenden Beiträgen über Tod, Sterben und Altern. Es ist ein mutiges Plädoyer, das dazu anregt, mit der eigenen Vergänglichkeit in Dialog zu treten und die Verantwortung zu übernehmen, den Tod in die Mitte der Gesellschaft zu rücken. Dieses Buch soll jeden Einzelnen darin bestärken, den Tod ins Leben zu integrieren und einen Beitrag zu einer neuen, sozialen Sterbekultur zu leisten.

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