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Gerd Scherm über Glauben, Bücher und andere Beschäftigungen

Beitrag von Stefan Cernohuby | 24. Juni 2010

Gerd Scherm ist den meisten seiner Leser als Autor der »Nomadengott-Saga« bekannt. Tatsächlich ist der 1950 in Fürth geborene Künstler allerdings weit vielseitiger. Nicht nur seine Romane und Lyrik finden viel Beachtung und werden regelmäßig mit Preisen ausgezeichnet, kürzlich wurde auch sein Drama »Alexander der letzte Markgraf« als Theaterstück inszeniert. Daneben ist der Kultur- und Religionssoziologe Gerd Scherm bekannt für seine Vorträge über Freimaurerei. So viele Tätigkeiten werfen natürlich interessante Fragen auf.

Janetts Meinung: Lyrikbände, Kurzgeschichten, Grafik, Objekte,

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Anthologieprojekte, Romane, Vorträge, Malerei, Installationen, Performances, Opern-Libretti, Liedtexte, Theaterstücke … die Liste deiner Aktivitäten ist lang. Kommt irgendwann der Zeitpunkt an dem man sich selbst nicht mehr als Autor, sondern generell als Künstler betrachtet?

Gerd Scherm:
Diese Selbsteinschätzung kam bei mir sehr früh, denn ab 1974 war ich endgültig Grenzgänger der Künste. Mal dominierte mehr das Bildnerische, mal mehr das Literarische. Das hat oft auch mit den jeweiligen Lebensumständen zu Kontakten zu tun. Wenn man mehr in der Kunstszene steckt, Galeristen und Ausstellungsmacher kennt, dann bekommt man dadurch auch Impulse und Motivation. Und mit der Literaturszene verhält es sich ähnlich.

JM: Dein als Theaterstück inszeniertes Drama »Alexander der letzte Markgraf« ist vom Bayrischen Kultusministerium mit stattlichen 20.000 Euro gefördert worden. Was ist das für ein Gefühl?

GS: Ein extrem gutes Gefühl! Solch eine Förderung beinhaltet ja viele Aspekte: Zum einen steht mehr Geld für die Inszenierung zur Verfügung, als im Theateretat vorgesehen und dem Stück selbst hilft es durch subventionierte Gastspiele eine größere Verbreitung zu finden. Andererseits bedeutet es für den Autor eine verstärkte überregionale Wahrnehmung und Anerkennung.

JM: Dein aktuellstes Werk ist ein Turmschreiberbuch und trägt den Titel »Der Turm der geschwätzigen Vögel«. Wie ist es zu diesem Buch gekommen und wovon handeln die enthaltenen Erzählungen?

GS: Ich war im Sommer 2007 Turmschreiber auf Burg Abenberg südlich von Nürnberg. Aus den vielfältigen Eindrücken, aus der Beschäftigung mit der Geschichte und meinen Erlebnissen vor Ort ist nun ein sehr lebendiges Buch geworden. Es erzählt von den Mauerseglern, die mit mir im Turm gewohnt haben ebenso wie von den Begegnungen mit den Menschen – Menschen wie John Fogerty und Joan Baez, die auf der Burg Konzerte gaben, mit dem Bürgermeister und einem indischen Bogenschieß-Experten, mit dem größten Kloßteigfabrikanten Frankens und einer einsamen Schlossbesitzern mit gigantischer Spielzeugsammlung, gewandeten Burg-Besucherinnen und gescheiterten Shakespeare-Schauspielern. Das Buch berichtet auch, wie das Ritterwesen überhaupt entstanden ist und was das Besondere an Wolfram von Eschenbach ist, der auf Burg Abenberg seinen Parzival zu schreiben begann.

JM: Im Gegensatz zu vielen anderen erfahrenen Autoren scheust du dich nicht, mit Nachwuchsautoren zusammenzuarbeiten und gemeinsam Projekte zu realisieren. Ein Beispiel dafür ist auch die Geschichtenweber-Fantasyanthologie »Die Saga der Drachenschwerter«. Was motiviert dich, logistisch komplizierte Literaturprojekte wie diese durchzuführen?

GS: Die Themen und die Zusammenarbeit an und für sich. Auch wenn es manchmal etwas kompliziert und sogar nervenaufreibend ist, macht es doch Spaß, gemeinsam ein solches Projekt auf die Beine zu stellen. »Die Saga der Drachenschwerter« ist ein faszinierender Episoden-Roman geworden, an dem zehn unterschiedliche literarische Temperamente mitgewirkt haben, sehr zum Vorteil für das Endergebnis.

JM: Demnächst wird auch ein Werk von dir in der Steampunk-Anthologie »Von Feuer und Dampf« erscheinen. Obwohl sich die Romane deiner »Nomadengott-Saga« eher den Bereichen Satire und historischer Roman zuordnen lassen, lässt du dich offenbar nicht so leicht auf ein Genre festlegen. Was interessiert dich an derartig unterschiedlichen Ausgangssituationen?

GS: Nun, meine Geschichte »Der Rosenbaum-Golem« ist gar nicht so weit weg von meinem Nomadengott-Zyklus, denn der Ansatzpunkt ist der gleiche: Eine alternative Historie, ein etwas anderes Jahr 1899, eine Möglichkeit, wie die Geschichte sich auch hätte entwickeln können. In diesem Fall ist nicht Elektrizität, sondern Dampf die Hauptenergiequelle der Menschen. Und dieses »Was-wäre-geschehen-wenn« inspiriert die Fantasie ungeheuer.

JM: Viele Fans fragen sich bestimmt, ob die Hauptpersonen deiner »Nomadengott-Saga«, allen voran Seshmosis und GON, noch weitere Abenteuer erleben werden. Hast du in dieser Richtung noch Pläne oder gibt es bereits Anfragen von Seiten des Verlags?

GS: Ja, ich habe Pläne und der Heyne Verlag hat auch schon Interesse signalisiert. Die Grundidee für den vierten Band ist längst gefunden: Meine chaotische Zeitreisegruppe der Tajarim wird im nächsten Buch das keltische Irland unsicher machen.

JM: Als bekennender Freimaurer hältst du auch öfters Vorträge, die sich nicht nur um Dan Browns amüsante Ideen drehen, sondern auch einem anderen Ziel dienen. In gewisser Hinsicht arbeitest du an der Entmystifizierung des Freimaurer-Bundes. Welche Tätigkeiten übst du dabei aus und welchen Stellenwert nimmt diese Rolle in deinem Leben ein?

GS: Ich möchte helfen, die Vorurteile gegenüber der Freimaurerei abzubauen. Dazu halte ich Vorträge und Vorlesungen zu Themen, die mit Freimaurerei, aber auch ihren Gegnern zu tun haben - sei es über Verschwörungstheorien, sei es über die Geschichte dieser Bruderschaft, sei es über ihr Selbstverständnis in der Gegenwart.
Ich war etliche Jahre für das Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigten Großlogen von Deutschland tätig und seit zwei Jahren bin ich Meister vom Stuhl (= Chairman = Vorsitzender) der Loge »Zu den 3 Türmen«, Rothenburg ob der Tauber.

JK: Was sind deine nächsten Pläne oder Projekte?

GS: Ein Projekt, das mir schon lange am Herzen liegt, das auch schon weit gediehen ist, das ich aber immer wieder wegen anderer Dinge beiseite legen musste: »Die dunkle Mühle«, der Episoden-Roman einer Familie von 1858 bis 1939. Es wird ein historischer Roman, mit ganz wenig Fiktion, ganz nah an den Personen, die so wirklich existiert haben. Für dieses Projekt habe ich ungeheuer intensiv recherchiert, bin gereist, habe mich in Archiven den Milben ausgesetzt, mich von Bauernhöfen verjagen lassen und eifersüchtigen Heimatpflegern getrotzt. Nun hoffe ich, diesen Roman 2010 endlich abschließen zu können.

JK: Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Wir sind gespannt auf deine nächsten Werke.

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