Zerbrechliche Dinge
von Neil Gaiman
Rezension von Stefan Cernohuby
| 18. April 2019
Viele Dinge im Leben sind nicht von langer Dauer. Doch manche von ihnen, speziell jene in Form von Erlebnissen und besonderen Momenten, erweisen sich als ausnehmend fragil. Gerade jenes Adjektiv kennzeichnet auch den Geisteszustand mancher Person, insbesondere nach traumatischen Ereignissen. Grund genug für Neil Gaiman eine Sammlung seiner Kurzgeschichten zu erstellen, die den Titel „Zerbrechliche Dinge“ trägt. Inwieweit dieser Titel dem Inhalt entspricht, wollten wir uns näher ansehen.
Erinnerungen zählen zu jenen Dingen, die sich sehr schnell verlieren. Daher beginnt Neil Gaiman mit einigen eigenen Erinnerungen über all jene Erzählungen und Gedichte, die man im vorliegenden Band findet. Danach geht es los in die Welten der Fantasie. „Eine Studie in Smaragdgrün“ liefert eine etwas andere Hintergrundgeschichte für den Beginn der Zusammenarbeit von Inspektor Lestrade mit seinen besten Ermittlern. Monate versammeln sich und erzählen ganz unterschiedliche Geschichten.
„Bitterer Kaffeesatz“ erzählt von flüchtigen Begegnungen und ihren Folgen. Das Motto der Geschichte ist, dass nie ein Mensch ohne Grund ins Leben eines anderen tritt. Und niemals ohne Auswirkungen...
Wie wäre eine Welt, in der das Übersinnliche und Übernatürliche an der Tagesordnung ist? Und wie sähe in einer solchen Welt Fiktion aus?
Einer weiteren Geschichte aus der eigenen Jugend folgt eine phantastische Erzählung darüber, „Wie man sich auf Partys mit Mädchen unterhält“. Denn manchmal scheinen selbige von einem anderen Stern zu stammen.
Das Verschwinden von Personen ist ebenso Thema einer Erzählung, wie auch gewisse Rituale, die, obwohl immer wieder praktiziert, trotzdem vergessen werden. Krankheiten, das Bedürfnis nach Fleisch und virtuelle Realitäten finden ebenso Platz in diesem Buch, wie auch eine Geschichte, die sich um den Protagonisten des Bestsellerromans „American Gods“ dreht. Diese und weitere kurze Erzählungen, garniert mit Gedichten, finden sich im vorliegenden Buch. Eine äußerst bunte Mischung, in welcher die dunklen Farbtöne allerdings deutlich dominieren.
Was macht Neil Gaiman aus? Was schafft er, was andere Autoren nicht zustande bringen? Er gelingt ihm, die Zwischenräume von Gedanken auszufüllen, die jeden Menschen von Zeit zu beschäftigen. Er fügt jenen Ideen noch Rot- und Schwarztöne hinzu, garniert sie mit eigenen Einfällen und verleiht ohnehin bereits ungewöhnlichen Geschichten dadurch eine einzigartige Note. Genauso ist es auch bei „Zerbrechliche Dinge“, das in der aktuellen Version von eichborn zum ersten Mal alle im Original enthaltenen Geschichten und Gedichte enthält. Die Vorgängerversion war da deutlich lückenhafter. Nicht jede einzelne Kurzgeschichte ist für sich betrachtet ein Meisterwerk. Doch einige Werke sind tatsächlich herausragend und auch der Gesamteindruck weiß zu überzeugen. Gaiman beweist gleichzeitig die Vielfalt seiner Gedankenwelten, während er selbst eingefleischte Romanliebhaber davon überzeugt, dass Kurzgeschichten und Gedichte Literaturformen darstellen, die ebenfalls ihre Vorzüge haben. Insofern kann „Zerbrechliche Dinge“ all jenen empfohlen werden, die sich entweder neuen Gedankenwelten zuwenden wollen oder aber bereits Neil Gaimans Talent erkannt haben, von Dingen zu erzählen, die nur auf den ersten Blick trivial erscheinen.
Selbst wer noch nie zuvor mit Neil Gaimans Schaffen in Berührung gekommen ist, wird von „Zerbrechliche Dinge“ nicht unberührt bleiben. Denn die Kurzgeschichtensammlung beinhaltet Abstraktionen einfacher Gedanken, genauso wie völlig alternative Konzepte zu konventionellen literarischen Ergüssen. Auch genretechnisch lässt sich der Autor keineswegs festnageln. Daher ist das Werk sehr empfehlenswert, wenn man sich selbst in der Lage sieht, sich immer noch mit Neuem auseinanderzusetzen und dabei auch Kurzgeschichten und Gedichten eine Chance geben möchte. Denn der richtige Autor ist mit ihrer Hilfe dazu fähig, Ideen zu beleuchten, die in Romanen möglicherweise keinen Platz finden.
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