Anansi Boys
von Neil Gaiman
Rezension von Stefan Cernohuby
| 12. März 2011
Oft heißt es nach einem Todesfall im Familien- oder Bekanntenkreis, dass man den kürzlich Verstorbenen gar nicht richtig gekannt habe. So vieles, was einem nie wirklich bewusst war, kommt erst nach der Beerdigung auf. Meist schwappen dann die Emotionen über. So auch im Fall von Fat Charlie. Allerdings sind bei ihm die am stärksten ausgeprägten Gefühle Verwirrung, Unglauben und Ärger. Denn wie soll man sonst reagieren, wenn man feststellt, sein ganzes Leben nichts darüber gewusst zu haben, dass der eigene Vater ein Gott war. Eine skurrile Situation, mit der sich der Protagonist in Neil Gaimans Roman „Anansi Boys“ wohl oder übel auseinandersetzen muss.
Charles Nancy alias Fat Charlie ist mit seinem Leben nicht unbedingt zufrieden. Dafür ist es zu langweilig, eintönig und deprimierend. Er ist Angestellter in einer windigen Finanzkanzlei, seine Verlobte will mit Sex bis nach der Hochzeit warten und seine Schwiegermutter hasst ihn. Grundsätzlich lebt er also das typische britische Leben - bis zum Tod seines Vaters in Florida. Dort teilt ihm nämlich die ehemalige Nachbarin seines Erzeugers mit, dass dieser ein Gott war. Auch teilt sie Charlie mit, wie er mit seinem Bruder Kontakt aufnehmen könne: Er solle einer Spinne mitteilen, dass er ihn sehen wolle. Dies alles kommt nun sehr überraschend für Fat Charlie, hört er doch zum ersten Mal davon, dass er überhaupt einen Bruder hat, ganz zu schweigen vom Gottstatus seines Vaters. Eher aus Spaß als ernstgemeint teilt er der nächsten Spinne, die er aus dem Badezimmer vor seiner Verlobten rettet - oder auch umgekehrt, sie vor ihr - mit, dass er gerne seinen Bruder sprechen würde. Und von einem Tag auf den anderen ist sein Bruder da. Er nennt sich Spider und ist alles, was Charlie selbst nicht ist. Gutaussehend, ein toller Sänger und ein Liebling aller Frauen. Als die Beiden ausgehen um den Tod des eigenen Vaters zu betrauern, folgt die Katastrophe. Charlie wacht neben einer unbekannten Frau auf, verliert seinen Job und wird von der Polizei verfolgt, während sich Spider mit Charlies Verlobter vergnügt. So beschließt Charles Nancy, als Sohn des Spinnengottes Anansi, dass sein Bruder wieder verschwinden muss. Er schließt dafür ein Geschäft mit einer anderen Gottheit ab, nicht ahnend, dass ihn das in weitaus größere Probleme bringen wird als zuvor...
Zum zweiten Mal unternimmt Neil Gaiman einen Ausflug in eine Welt der menschgewordenen Gottheiten. Anansi, der auch in „American Gods“ einen Kurzauftritt hatte, hat der Welt mit seinen beiden Söhnen ein handfestes Problem hinterlassen. Etwas das gut zu seiner seltsamen Auffassung von Humor passt - manchereiner kennt ja vielleicht die uralten afrikanischen Anansi-Fabeln. Amüsant und spannend wird eine Geschichte erzählt, wie sie das Leben schreibt. Gut, vielleicht kein normales Leben und vielleicht auch nicht mit einem normalen Füller, aber sie spiegelt in diesem Fall eben das wider, was der Autor in seinem Verstand produziert hat. Dabei kann definitiv festgestellt werden, dass Gaiman ganz offensichtlich ein unerschöpfliches Reservoir an halbverrückten bis total wahnsinnigen Ideen besitzt, diese aber in so schöne Worte kleiden kann, dass sie dem Leser dennoch zu gefallen wissen. In diese Kerbe schlägt auch „Anansi Boys“. Die Handlung ist jetzt weder besonders genau durchkonzipiert, noch ist die dahinterliegende Idee von überragender Brillanz. Dennoch fühlt sich der Leser beinahe gewaltsam von der Handlung gepackt, schnell auf Seite 300 des Buchs wieder, obwohl er eigentlich nur kurz einmal hineinlesen wollte. Dies macht einen tollen Roman aus, dass er den Leser fesselt und festhält. Genau so ein Werk ist auch „Anansi Boys“. Auch wenn die Geschichte nicht ganz an jene aus „American Gods“ heranreicht, ist der Roman dennoch wärmstens zu empfehlen und hat den „British Fantasy Award“ des Jahres 2006 verdient gewonnen.
Ein Familiendrama in einer Welt, in der Götter menschliche Kinder zeugen können, so könnte man „Anansi Boys“ von Neil Gaiman in kürzester Form beschreiben. Gleichzeitig ist das Buch allerdings sehr humorvoll, spannend und ein waschechter Fantasy-Roman. Jeder, der den Vorgänger „American Gods“ gelesen und für gut befunden hat, sollte sich das Werk unbedingt besorgen. Aber auch Liebhaber humorvoller Fantasy werden hier voll auf ihre Kosten kommen.
Details
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Altersempfehlung:
16 Jahre
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