Die Ameisenfrau

von Thomas Kiehl
Rezension von Stefan Cernohuby | 04. November 2019

Die Ameisenfrau

Man kann die Menschheit mit sehr vielen anderen Spezies vergleichen. In Zeiten immer größer werdender Städte und immer größerer Dichte an Einwohnern pro Quadratmeter bekommt man aber zunehmend das Gefühl, man habe es mit einem Ameisenstaat zu tun. Doch kann man das soziale Gefüge unserer Gesellschaft wirklich mit jenem von Ameisen vergleichen? Autor Thomas Kiel hat mit „Die Ameisenfrau“ ein ungewöhnliches Format gewählt, um sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen: Einen Thriller.

Lena Bondroit ist Wissenschaftlerin. Sie folgt einem Vorbild in ihrer Familie und ist Ameisenforscherin geworden. Dabei fasziniert sie insbesondere die Tatsache, dass Ameisenvölker keinen lenkenden Mechanismus in ihrem Zentrum besitzen. Denn die nominelle Königin tut tatsächlich nichts anderes, als Eier zu legen und den Staat am Leben zu halten, beziehungsweise zu vergrößern. Darüber hat sie auch einige Literatur verfasst. Als sie eines Tages von einem Journalisten namens Meier darauf angesprochen wird, ist sie zuerst befremdet, dass er ihre Forschungsergebnisse auf die Menschheit umlegen will und dabei in Richtung einer Art Schattenorganisation recherchiert, die Angst verbreitet. Lena tut diese Annahmen als Hirngespinste ab, was sich jedoch rasch ändert, als Meier vor ihren Augen mit einem Auto überfahren und so ermordet wird. Als ein noch wüsterer Verschwörungstheoretiker namens Victor Callenberg sich wegen derselben mutmaßlichen ORG bei ihr meldet, ist sie nicht mehr ganz so ablehnend. Doch das rächt sich, denn sie wird immer tiefer in ein Spiel mit doppeltem und dreifachem Boden gezogen, in das offensichtlich von Innenminister über Polizei, Behörden bis hin zu Versicherungen alle involviert sind. Ein Kampf gegen Windmühlen beginnt, bei dem sich die Charaktere gefährliche Verbündete suchen müssen.

Das Werk verfolgt einige interessante Ansätze. Besonders der Vergleich einer selbstbestimmten Gesellschaft mit der Eigendynamik eines Ameisenvolkes verdient Beachtung. Der Roman ist darüber hinaus spannend und nimmt mehrere sehr überraschende Wendungen. Einzig und allein dass die geheimnisvolle im Hintergrund angesiedelte ORG, die irgendwann mal alle Fäden gezogen hat, eigentlich nicht mehr existiert, aber dann doch noch in der einen oder anderen Form neue Ziele gefunden hat. Auch einige sicherlich richtige Korrelationen der Realität, die in dieses Muster eingeflossen sind, kann man sicherlich als richtig bezeichnen – aber das könnte den Leser glauben lassen, dass der Autor tatsächlich an sein eigentliches Verschwörungskonzept glaubt, obwohl er das im Nachwort selbst wieder entkräftet. Wäre dieser eine Bestandteil der Handlung etwas glaubwürdiger oder transparenter gestaltet, ohne direkt alle Klischees von Verschwörungstheoretikern zu bedienen, könnte man dem Roman für gute Unterhaltung und seine Wendungen eine bessere Note ausstellen. So aber bleibt er leider ein solider, durchschnittlicher Thriller, dem aber Liebhaber des Genres sicher dennoch etwas abgewinnen können.

„Die Ameisenfrau“ von Thomas Kiehl ist ein Thriller, der wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Biologie mit gesellschaftspolitischen Phänomenen verbindet und dabei mehrfach überrascht. Hätte das Werk die Lösung des Antagonisten – hier repräsentiert durch eine gesichts- und konzeptlose ORG, die hinter allem steckt – wäre der Roman sehr empfehlenswert. So ist er allerdings immer noch guter Durchschnitt und aufgrund seiner spannenden Handlung für Thrillerfans dennoch empfehlenswert.

Details

Bewertung

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