Zeit der Zauberer


Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919 - 1929
von Wolfram Eilenberger
Rezension von Manfred Weiss | 02. Januar 2020

Zeit der Zauberer

Gibt es außerhalb eines kleinen Kreises von „Profis“ überhaupt die Möglichkeit mit Philosophie etwas anfangen zu können? Das ist ein wenig wie die Frage, ob es denn Sinn macht zu laufen, wenn man keinen Marathon gewinnen kann. Selbstverständlich.

„Zeit der Zauberer“ ist ein Buch über vier bedeutende Philosophen am Beginn des 20. Jahrhunderts. Es sind die Jahre 1919-1929, der 1.Weltkrieg hat seine Spuren hinterlassen, die Welt ist in Angst, Resignation grassiert, die Wirtschaft stagniert und doch blühen Kultur und Geisteswissenschaften auf. Wolfram Eilenberger erzählt vom, wie er es nennt „Großen Jahrzehnt der Philosophie“. Ludwig Wittgenstein, Martin Heidegger, Walter Benjamin und Ernst Cassirer sind seine Haupthelden. Dabei geht es um wirtschaftliche Nöte ebenso, wie persönliche Schwächen, aber vordringlich natürlich um ihr Ringen mit den Fragen der Philosophie, die ihr Leben bestimmen.

Zeit, Frage und Antwort

Der Autor erzählt eine Geschichte, die weit über reine Biographie hinausgeht. Kein einfaches Unterfangen. Doch „Zeit der Zauberer“ schafft mit einer klugen Mischung aus persönlicher Geschichte und Philosophie dieses Kunststück.
Wenn man aus der Schule Philosophie vor allem als schwer verständliche Sätze in Erinnerung hat, die sich mit Formulierungen wie dem „Seienden des Seins“ oder Fragen nach dem „Wesen der Existenz“ oder ähnlichem auseinandersetzten, begegnet man dem Thema Philosophie mal mit Vorsicht. Der Zugang fällt leichter, wenn man dem menschlichen Maß der Philosophen selber folgt. Sei es das Mühen Wittgensteins, der Beschränkung großen Wohlstands zu entkommen, seien es die persönlichen Schwächen und wirtschaftlichen Nöte Benjamins.
So entsteht ein Lesefluss, in dem auch tatsächliche philosophische Fragestellungen immer wieder spannend eingeflochten werden, die dann für den Leser durchaus Anregung sein können, sich mit eben diesen Fragen auch selbst zu beschäftigen. Etwa mit der Frage wie sehr Sprache die Wahrnehmung beeinflusst und auch wie das Wahrgenommene an andere vermittelt werden kann. Bis hin zu der Grundfrage, was man als tatsächlich und unumstößlich wahr bezeichnen kann. Fragen, denen das Buch jeweils aus der Perspektive der vier Hauptprotagonisten nachgeht. Fragen, die einen aber selbst auch zum Überlegen anregen.

Philosophie und Biographie

Die Biografien von Wittgenstein, Benjamin, Heidegger und Cassirer laufen dabei aber nicht nur nebeneinander her, sondern treffen sich auch wieder und wieder in dem verhältnismäßig kleinen philosophischen Zirkel in Europa. Und sie gipfeln letztlich in einer philosophischen Konferenz in Davos im Jahr 1929, wo sich Martin Heidegger und Ernst Cassirer zu einem „philosophischen Duell“ treffen. In diesen späten Höhepunkt des Buches investiert Wolfram Eilenberger viel Energie, um die Dramatik des Geschehens zu vermitteln, die gekreuzten gedanklichen Klingen.
Abgerundet wird das Buch von einer kleinen Auswahl an Fotografien der vier Protagonisten. In der Regel streng und nachdenklich in die Kamera blickend, sieht man hier aber doch auch das Ringen mit dem eigenen Lebensweg, mit den Gegebenheiten der Zeit und mit dem was sich in Europa bereits zusammenzubrauen beginnt. Und sie alle werden auch Teil dieser unausweichlichen Geschichte, fügen sich willentlich in sie ein oder werden von ihr einvernahmt.

„Zeit der Zauberer“ ist ein Buch für alle, die einen einfachen und spannenden Zugang zu grundlegenden philosophischen Fragestellungen suchen. Aber auch für alle, die sich für die Zeit nach dem 1.Weltkrieg interessieren und den geisteswissenschaftlichen Umgang damit. Im Grunde sieht man, dass der Kern der Fragen sich nicht verändert hat. Die Frage nach dem Sinn bleibt über die Jahrhunderte unverändert, die Suche nach einer Antwort scheint auch bestimmt durch die Zeit, in der die Frage gestellt wird. Dieses Buch ermuntert den Leser, den Mut nicht zu verlieren.

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