Die Strickmusterbibel


260 japanische Muster stricken: Von zartem Ajour bis zu ausgefallenen Zopfmustern
von Hitomi Shida
Rezension von Elisabeth Binder | 16. Dezember 2018

Die Strickmusterbibel

Das Stricken als Gelderwerb, Zeitvertreib und Schauplatz handwerklicher Perfektion ist in Japan eine vergleichsweise junge Erscheinung. Mit dem Ende des Shogunats und der Öffnung Japans Mitte des 19. Jahrhunderts kamen gestrickte Kleidungsstücke und auch das Stricken in Japan an. Einerseits in Form von Handschuhen und Socken für die nach westlichem Vorbild ausgerüstete Armee, andererseits als Unterrichtsgegenstand in den für die höheren Töchter gedachten Missionarsschulen. Angeblich waren unter den handwerklichen StrickerInnen auch arbeitslose Samurai, die sich mit dem Stricken von Socken eine Geldquelle eröffneten. Die Heimarbeit wurde aber ziemlich rasch durch Maschinen abgelöst, übrig blieb, wie anderswo auch, das Stricken als handwerkliches Hobby, für das sich eine eigene, landestypische, wiedererkennbar Mustersprache entwickelte.

Hitomi Shida ist in Japan eine Institution, was das Design von Strickmustern betrifft. Bereits 2005 erschien ihre erste Strickmustersammlung, die auf den ersten zehn Jahren ihrer regelmäßig in Zeitschriften erschienen Handstrickdesigns beruhten. Die vorliegende "Strickmusterbibel" ist die Zusammenfassung der Arbeit der letzten zehn Jahre. Mit etwas Verspätung hat es diese Sammlung jetzt auch zu einer deutschen Übersetzung gebracht. Das war eigentlich schon längst überfällig, denn japanische Handstrick- und Musterbücher machten unter erfahrenen und Strickerinnen schon längst die Runde. Die Entzifferung der Musterdiagramme und Anleitungen gelang bis dato mit etwas Mühe unter Zuhilfenahme von einigen verstreuten, zumeist englischen Blogeinträgen. Das vorliegende Buch versammelt jetzt zum ersten Mal in deutscher Sprache eine Legende zu den standardisierten japanischen Strickschriftsymbolen. Die ersten 20 Seiten allein sind also schon fast den, ohnehin sehr wohlfeilen Preis, des Hardcover-Buches wert.

Die Muster wurden von der Autorin in sechs Kategorien aufgeteilt. Der Musterteil beginnt gleich mit dem umfangreichsten Kapitel von 84 Lochmustern, die wiederum in Unterkategorien aufgeteilt werden. Gleich die ersten Muster vermitteln einen guten Eindruck von der Komplexität und gleichzeitig der Leichtigkeit, die japanische Muster auszeichnet. Darauf folgen Kreuzmuster, die teilweise an die traditionellen Modelle aus dem alpinen Raum erinnern. Im nächsten Kapitel werden großflächige Muster behandelt, also Musterkombinationen, die breit genug für einen Pullover sind. Bei den Musterarrangements, die darauf folgen, wird demonstriert, wie sich Basismuster durch den gezielten Austausch einzelner Elemente modifizieren lassen. Die letzten beiden Kapitel widmen sich zwei Designelementen, nämlich den Rundpassen und den Borten. Für jedes Muster gibt es ein Foto und die dazugehörige Strickschrift, die sich anhand der Stricksymbolübersicht zu Beginn leicht entziffern lässt. Für ganz besonders komplexe Stichkombinationen findet man am Ende des Buchs noch bebilderte Anleitungen.

Zu fünf der Kapitel gibt es nach dem Musterteil noch Anleitungen für kleinere Strickstücke (Schal, Mütze, Socken, Pulswärmer), in denen die jeweilige Musterkategorie zur Anwendung kommt. Damit bekommt man auch gleich einen Einblick, wie japanische Strickanleitungen funktionieren und warum geübte StrickerInnen dafür keine umfangreichen Japanisch Kenntnisse benötigen. Die meisten Informationen können nämlich aus den Muster- und Schnittdiagrammen direkt herausgelesen werden. Ein nettes Extra für gewissenhafte StrickerInnen sind die acht beigelegten Maschenprobenlabels zum Ausschneiden.

Die "Strickmusterbibel" ist nicht nur schön zum Ansehen, sondern verdient einen prominenten Platz im Bücherregal von StrickerInnen, die sich mit anspruchslosen und langweiligen Mustern einfach nicht mehr zufrieden geben.

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