Neben dem Gleis

von Jürgen Ehlers
Rezension von Janett Cernohuby | 08. Februar 2009

Neben dem Gleis

Autoren lassen sich oftmals die erstaunlichsten und fantasievollsten Geschichten einfallen, um einen guten Krimi zu verfassen. Diese Ideen können dann dazu führen, dass die Handlung gekünstelt und unrealistisch wirkt. Dabei liegt der einfallsreichste Stoff oftmals in banaler Nähe. Dies erkannte Jürgen Ehlers und lässt in seinem Werk einen Bankräuber die Polizei an der Nase herumführen.

Hamburg im Sommer 1959. Horst Berger ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hat seine neue Stelle beim Raubdezernat angetreten. Doch schon bei seinem Dienstantritt merkt er deutlich, dass die anderen Kollegen ihm diesen Posten neiden. Als während seiner Einstandsfeier ein Maskierter die Zentrale der Deutschen Bank überfällt, bekommt Berger seine erste Chance zu zeigen, was er kann. Doch während der Ermittlungen beschleicht ihn immer mehr das Gefühl, dass seine neuen Kollegen ihm wichtige Informationen vorenthalten. Einer von ihnen, Pagels, kann dieses Mobbing jedoch nicht mit seinem Gewissen vereinbaren und stellt sich hinter Berger.
Der Täter des Bankraubs kann nicht gefasst werden und bis zum Mai 1960 geschehen keine weiteren Überfälle. Doch dann schlägt der Maskierte erneut zu. Im Laufe der folgenden Jahre kommt es zu einer Reihe von Banküberfällen, die alle das gleiche kaltblütige und dreiste Vorgehen aufweisen: Der Räuber geht in die Bank, bedroht den Kassierer mit einer Pistole, nimmt sich das zur Verfügung stehende Geld und flüchtet anschließend. Dass er immer die Banken überfällt, in deren unmittelbarer Nähe ein Polizeirevier steht, scheint ihn eher zu motivieren als abzuschrecken. Trotz guter Polizeiarbeit gelingt es Berger und seinen Kollegen nicht, den Bankräuber zu schnappen. Bis schließlich ein glücklicher Umstand und mutiger Kassierer die entscheidende Hilfestellung liefern...

"Neben dem Gleis" hat alles vorzuweisen, was ein guter Krimi braucht: Eine spannende Handlung in einer ereignisreichen Zeit an einem bedeutenden Ort. Der Krieg ist vorbei, Deutschlands Wunden beginnen zu heilen und die Wirtschaft wächst stetig. Es ist der Beginn der 60er Jahre: Die Berliner Mauer wird gebaut, der erste Mensch fliegt ins Weltall, Hamburg erlebt die Elbflut, die Kuba-Krise spitzt sich zu - in dieser sowieso schon ereignisreichen Zeit hält nun auch noch ein skrupelloser Bankräuber die Hamburger in Atem.
Der Autor hat sich also die besten Vorraussetzung geschaffen, um einen erstklassigen Krimi zu schreiben. Doch leider gelingt ihm dies nur mäßig. Die Handlung zieht sich während der ersten Hälfte des Buches zäh dahin. Es wird viel über die Ermittlungen der Polizei gesprochen; über Zeugenbefragungen, Pressemitteilungen, Täterprofile und mögliche Verbindungen mit älteren Überfällen. Die Geschichte klingt mehr wie ein trockener, hölzerner Bericht und nicht wie ein spannender Kriminalroman. Beweggründe des Täters, Emotionen der Opfer oder auch zwischenmenschliche Beziehungen zwischen den (Haupt-)Charakteren kommen dabei viel zu kurz. Dies ändert sich auch in der zweiten Hälfte des Buches nicht wesentlich. Zwar gelingt es dem Autor, endlich mehr Emotionen und Gefühle in die Handlung einzubauen - zum Beispiel erfährt der Leser endlich mehr über den Protagonisten und seine Lebensgeschichte - aber insgesamt bleibt die Erzählsprache doch sehr trocken.
Auch sonst ist die Sprache des Buches äußerst gewöhnungsbedürftig. Jürgen Ehlers entschied sich, seine Geschichte in der Gegenwart und nicht, wie sonst üblich, im Präteritum zu schreiben. Dies ist für den Leser sehr ungewohnt und es braucht seine Zeit, eh man sich an den Stil gewöhnt hat. Und auch sonst ist die Ausdrucksweise sehr simpel, trocken und wirkt besonders bei Dialogen aufgesetzt und erzwungen.
Übrigens sollten Liedzitate, die man einbaut, auch mit dem Original übereinstimmen. So singt Peter Alexander keineswegs, dass die süßesten Früchte "stets" sondern "nur" die großen Tiere fressen.
Die Personen werden sehr distanziert dargestellt. Dadurch ist es dem Leser nicht möglich, sich in sie hineinzuversetzen und mit ihnen zu fühlen. Das mag bei Nebencharakteren ja noch in Ordnung sein, aber gerade bei den Hauptpersonen, besonders bei Horst Berger, ist dies sehr schade. Denn der Protagonist scheint in seinem Leben einiges durchgemacht zu haben. Während des Weltkrieges wurde seine Halbschwester, eine Jüdin, nach Amerika in Sicherheit gebracht. Sein Vater versuchte ebenfalls Frau und Kind ins Ausland zu bringen, was aber misslang. Die Mutter nahm sich selbst das Leben, wofür Berger immer wieder seinem Vater die Schuld gibt. Aber nicht nur Bergers Privat- und Familienleben bieten viel Stoff, auch seine berufliche Laufbahn ist nicht uninteressant. Schließlich tritt er in die Fußstapfen seines berühmten Vaters, der während seiner Polizeikarriere den einen oder anderen bekannten Verbrecher festgenommen hat. Als Berger seine neue Stelle antritt, spürt er schnell den Neid und die Missgunst seiner Kollegen. Auch hierüber erzählt der Autor nur sehr knapp und sparsam. Insgesamt ist es Jürgen Ehlers nicht gelungen, seinen Charakteren Leben einzuhauchen. Vielmehr bleiben sie für den Leser farblose Gestalten, die man aus weiter Distanz betrachtet.

Fazit: Idee und Handlungsort bieten eine einzigartige Vorraussetzung für einen spannenden und mitreißenden historischen Kriminalroman. Leider ist dies dem Autor durch das Einbringen vieler trockener Polizeirecherchen und weniger ausschmückender Elemente misslungen. Für Leser, denen dieser Stil gefällt, ist das Buch auf jeden Fall empfehlenswert, allen anderen rate ich doch lieber eine andere Wahl zu treffen.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    09/2006
  • Umfang:
    366 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • ISBN 13:
    9783937001906
  • Preis (D):
    9,5 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
    Keine Bewertung
  • Gewalt:
  • Gefühl:
    Keine Bewertung
  • Erotik:
    Keine Bewertung