Wer nicht schreibt, bleibt dumm


Warum unsere Kinder ohne Handschrift das Denken verlernen
von Maria-Anna Schulze Brüning, Stephan Clauss
Rezension von Elisabeth Binder | 18. Juni 2017

Wer nicht schreibt, bleibt dumm

Bücher, die sich mit dem Thema Schule befassen, stehen immer vor einem grundlegenden Problem: Alle LeserInnen verfügen, dank der Schulpflicht, über eine jahrelange Expertise, nämlich die eigene Schulzeit. Die eigene Handschrift ist ein sehr beständiger Rest dieser Schulerfahrung, den man üblicherweise für das Leben gelernt hat.

Eingeleitet wird das Buch mit einem Kapitel über die Geschichte der (Hand-)Schrift. In etwas über dreißig Seiten geht es von der Keilschrift bis fast zu den mit bitterem Ernst geführten Auseinandersetzungen um eine national normierte Schreibschrift. Warum hier mehr als dreißig Seiten für einen letzten Endes doch sehr oberflächlichen historischen Überblick aufgewendet werden, ist nicht ganz nachvollziehbar. Möglicherweise geht es um folgende Botschaft: Handschriften sind eine wertvolle Kulturtechnik, die sich über tausende Jahre entwickelt hat und jetzt leichtsinnig von wohlmeinenden, aber unvollständig informierten PädagogInnen aufs Spiel gesetzt wird.

Die real-schulischen Schriftproben, die an einigen Stellen beispielhaft angeführt werden, sind dann auch ein wahres Gruselkabinett, vor dem sich offenbar auch die Erzeuger fürchten, wenn man den Erfahrungen der Autorin folgt. Mit sehr viel Akribie wird nachgewiesen, dass diverse pädagogische Bemühungen, den Handschrifterwerb von Kindern zu vereinfachen, in vielen Fällen das Gegenteil bewirkten. Nachdem die Handschrift entsprechend vereinfacht wurde, so die Theorie, muss man Kinder mit dem Handschrifterwerb nicht übermäßig belästigen. Daher ist deutlich beobachtbar, dass die schriftliche Form gegenüber dem sprachlichen Ausdruck seit den 70er Jahren in den Lehrplänen immer mehr in den Hintergrund tritt. Schreibunterricht hatte einfach den unangenehmen Beigeschmack des muffigen, unkreativen Drills, der unbedingt aus den Klassenzimmern verschwinden musste. Dabei kommt es zu einer Art Schubumkehr: Kinder müssen sich das Schreiben mit der Hand (oder auch mit der Tastatur) mehr oder weniger selbst beibringen. Mit dem Endergebnis sind Schülerinnen oft selbst nicht zufrieden, wie regelmäßige Umfragen zeigen, die die Autorin an ihrer Schule durchführt.

Was hat das jetzt alles mit dem Denken zu tun? Es werden ein paar Studien zitiert, die nachweisen konnten, dass mit handschriftlichen Notizen neue Informationen wesentlich besser verarbeitet werden. Diese Studien werden in genau einem Kapitel erwähnt. Darüber hinaus dient das Thema Handschrift als Aufhänger für eine breite Kritik an den Entwicklungen in der Schulpolitik, die sich im Moment in vorauseilenden Gehorsam in die Digitalisierung stürzt und produktive Kulturtechniken verkümmern lässt.

Verwunderlich ist, dass von dem Autorenduo in einem Buch, das sich mit Schrift und letztendlich auch mit Sprache beschäftigt, zwei Worte mit eindeutiger historischer Bedeutung verwendet werden. Die "Gleichschaltung der Größen und Abstände" (S. 232) bezieht sich zwar auf die "Rhythmisierung des Schreibens", hinterlässt an dieser Stelle aber doch einen eigentümlichen Beigeschmack. Dann gibt es auch noch die "Frontlinien" im "Kulturkampf" (S. 272) um die Digitalisierung im Unterricht.

Insgesamt sieht man dem Buch an, dass es nicht aus einem Guss ist. Die wesentlichen Argumente und Plädoyers für die Handschrift, konkreter die verbundene Handschrift, lassen sich auf dem Blog der Autorin nachlesen. Im Buch fehlt dann oft der rote Faden zwischen den Kapiteln. Die inhaltliche Spanne ist doch sehr groß, weil es den AutorInnen eben nicht nur um die Handschrift geht, sondern um eine Rundumkritik von pädagogischen Prinzipien, die sich in den letzten 20 Jahren durchgesetzt haben und die in der schulischen Praxis oft die Versprechen nicht einlösen, mit denen sie angetreten sind.

Gleichzeitig hinterlässt die Aneinanderreihung von inhaltlich stark überlappenden Kapiteln den Eindruck, dass hier unbedingt überzeugt werden muss und nicht mehr argumentiert werden kann. Vielleicht haben das Themen, die sich um Bildung und Erziehung drehen, so an sich.

PS in eigener Sache: Diese Rezension wurde direkt in den Computer getippt, die Notizen dazu erfolgten handschriftlich. Aber das ist eine andere Geschichte …

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Anspruch: