Spiegelwelten

Von Feuer und Dampf

von Stefan Cernohuby (Hrsg.)
Rezension von Janett Cernohuby | 11. Oktober 2010

Von Feuer und Dampf

Die Frage "Was wäre wenn" ist ein Ausgangspunkt für viele verschiedene Exkurse, quer durch die Literaturgeschichte. Eine Frage ist jene zu einer alternativen Entwicklungsgeschichte im Bereich dominanter Technologien zur Energiegewinnung. Das bekannteste damit verknüpfte Genre nennt sich "Steampunk" und ist gerade in Übersee stark im Wachstum begriffen. Doch auch im deutschsprachigen Raum gibt es einiges an Bewegung auf diesem Sektor und so haben wir nun die erste deutschsprachige Steampunk-Anthologie mit dem Titel "Von Feuer und Dampf", die im Arcanum Fantasy Verlag erschienen ist, als Rezensionsmuster erhalten.

Niemand geringerer als Torsten Sträter entführt mit seinem Prolog den Leser in die Welt des Steampunks. Erich Kardiss, Sohn eines Bergmanns, entscheidet am Sterbebett seines Vaters, nicht in dessen Fußstapfen und hinab in die dunklen Minen des Braunkohletagebaus zu treten. Stattdessen erlernt er das Handwerk der Magie und bereist vier europäische Metropolen: Berlin, Wien, Hamburg, München...
Derzeit gibt es in Berlin nur ein Gesprächsthema: Die Eröffnung des Elefantentors im Zoologischen Garten. So begleitet der Leser vornehme Töchter, die gegen die Armut kämpfen und verliebte Männer bei der Suche nach dem Mörder der Liebsten. Man liest von Industriespionage und Unternehmern, die zum Schutz gegen Diebstahl nach dem Vorbild Rabbi Judah Löws einen Golem von Berlin erschaffen.
Währenddessen gehen in Wien seltsame Dinge vor sich. Immer wieder wird die Stadt von seltsamen Erdbeben erschüttert. Daran ist eine gewaltige Maschine in der Kanalisation schuld. Damit ein solches Projekt jedoch geheim bleiben kann, muss man auch manchmal über menschliche Opfer gehen. Doch selbst wenn diese nur Obdachlose sind, werden sie dennoch vermisst. Die langfristigen Auswirkungen der Verbrennung von Kohle auf die Unwelt wird hinterfragt und ein vornehmer Beamter im Dampftaxi zum Flughafen gefahren.
In Hamburg bewegen ganz andere Dinge die Menschen. Hier ist ein Streit entbrannt, welches Transportmittel die Zukunft gehört: Schiffen zu Wasser oder zur Luft? Ein weitreichendes Netz von exotischen Intrigen, spannenden Wettrennen und letztendlich einer entscheidenden Schlacht um eben das Transportmittel der Zukunft fesselt hier die Leser.
Währenddessen findet in München das Oktoberfest statt. Auf einen ganz besonderen Gast desselben ist ein Attentat geplant, während auf die Erfinderin einer bahnbrechenden Maschine ein Attentat verübt wird, ein seltsamer Verbrecher sein Unwesen treibt und die Arbeiterinnen der Trambahn AG gegen die schlechten Arbeitsbedingungen protestieren.

Arcanum und Steampunk ist keine neue Kombination. Schon vor einigen Jahren erschien ein Computerspiel namens "Arcanum", das von starken Steampunk-Elementen geprägt war. Nun ist es ein Verlag mit beinahe dem gleichen Namen, der die erste deutschsprachige Steampunk-Antholgie verlegt hat. Stefan Cernohuby ist der Herausgeber, der die Werke von 16 Autoren in eben jener Anthologie vereint. Besonders erwähnenswert ist dabei das Konzept, welches hinter dem Werk steckt. Hier wurden nicht nur Erzählungen zum Genre Steampunk zusammengetragen, sondern diese auch miteinander verbunden. Zu den insgesamt vier Städten (Berlin, Wien, Hamburg, München) gibt es - bis auf eine Ausnahme - jeweils vier Erzählungen. Diese haben immer ein zentrales Thema gemeinsam, jedoch erzählt eine jede von ihnen eine andere Geschichte. Das macht aus dem Werk mehr, als nur einen Band, an dem unterschiedliche Autoren nicht zusammenhängend gearbeitet haben. Denn auch die vier Städte sind nicht willkürlich gewählt.
Fünfzehn Erzählungen zu schaffen, die miteinander verbunden sind, ist eine ganz besondere Herausforderung. Nicht nur, weil sich die Autoren untereinander abstimmen müssen, es muss letztendlich auch das Gesamtbild passen. Zu leicht kann es geschehen, dass die Geschichten erzwungen und aufgesetzt wirken. Dies ist jedoch im vorliegenden Werk keineswegs der Fall. Im Gegenteil, die meisten Geschichten rund um die Metropolen sind in der Lage, den Leser zu fesseln. Gebannt verfolgt man die Ereignisse der jeweiligen Stadt, lernt Menschen der unterschiedlichsten Schichten und mit den unterschiedlichsten Beweggründen kennen. Lediglich die Stadt Hamburg wirkt erzwungen und die Harmonie zwischen den einzelnen Erzählungen stimmt nicht.
Auch die Qualität der Kurzgeschichten ist im Großen und Ganzen konstant. Natürlich gibt es immer die eine oder andere Passage oder gar Erzählung, die dem Leser nicht gefällt. Doch diese sind im vorliegenden Werk lediglich kleinere Ausnahmen. Zudem ist es den Autoren auch gelungen, ganz unterschiedliche Erzählungen zu erschaffen. So bringt Gerd Scherms "Rosenbaum-Golem" ein wenig Mystik ins Spiel, während Marco Ansings "Automaten-Imbiss" einen klassischen Krimi darstellt und der Herausgeber Stefan Cernohuby mit einer Liebeserklärung an seine Heimat Wien auftritt. Liebe, Romantik und natürlich die armen unterdrückten Frauen finden ebenfalls Einzug im Roman - auch wenn so manches Thema etwas ausgetreten wirkt. Erfreulich ist auch Nina Horvaths Erzählung, die das Thema Umweltverschmutzung anspricht - sie zeigt, dass auch im Steampunk-Zeitalter nicht alles verherrlicht wird.

Somit kann man die erste deutsche Steampunk-Anthologie "Von Feuer und Dampf" nur empfehlen. Zum einen, weil hier wirklich 16 spannende und fesselnde Erzählungen in einem besonderen Rahmen vereint wurden. Zum anderen, weil es sich hierbei um eine erfrischend "neues" Genre handelt. Denn Steampunk ist keineswegs ein Genre, welches man als abgedreht bezeichnen sollte. Es handelt sich um eine historisch angelehnte Erzählung, die sich jedoch die Freiheit nimmt, die Entwicklung der Dampfmaschinen etwas überzeichnet darzustellen. Daher kann man jedem Bücherfreund nur raten, gebt dem Genre und der Anthologie eine Chance - bereuen wird man es auf keinen Fall.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
    Keine Bewertung
  • Gewalt:
  • Gefühl:
  • Erotik:

Könnte Ihnen auch gefallen: