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Zugreisen haben etwas Faszinierendes. Vielleicht nicht in der Gegenwart, wo Zugreisen eher eine Geduldsprobe für Reisende sind. Aber in der Vergangenheit, als die Speisewagen noch opulent ausgestattet waren, Abteile einem Hotel auf Rädern glichen und Menschen unterschiedlichen Coleur aufeinandertrafen. Der Grand Express bei Paula Nicolai ist solch ein Zug und welche Geschichten auf der Reise von Berlin nach Nizza passieren, erzählt die Autorin in ihrem Roman, der zeitgleich bei DAV als Hörbuch erschienen ist.

Eine Reise, viele Geheimnisse

Es ist eine Reise, die wie so viele andere auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin beginnt. Mit wachem Auge beobachtet Kondukteur Egon Schröter die Passagiere der ersten bis dritten Klasse, die den Grand Express, den Nachtzug nach Nizza, besteigen. Unter ihnen der überhebliche und selbstherrliche Industrielle Ernst von Bosch, nebst Gattin Olga und Tochter Franziska. Nach außen hin zeigen sich die beiden Frauen ruhig, doch im entscheidenden Moment kann die eine knallhart und die andere klug und gewitzt sein. Außerdem ist Tochter Franziska heimlich in den Musiker und Komponisten Peter Glückstein verliebt, der sich als falscher Baron in die erste Klasse einschleicht. Sein Ziel ist es, von Boschs Sympathie zu gewinnen. Zunächst teilt er sich im Restaurant den Tisch mit einer alternden Opernsängerin, deren Glanz und Lebensmut schon längst verloschen sind.
Die zehnjährige Luise reist nicht in der ersten Klasse, sondern in der zweiten. Zusammen mit ihrer Gouvernante ist sie auf den Weg nach Nizza, wo ihre Mutter sich von einer schweren Krankheit erholt. Neugierig und mit offenen Augen tritt das Mädchen diese Reise an, eine Reise, die ihr Leben verändern wird. Aber nicht nur ihres, sondern auch das der zahlreichen anderen Passagiere im Zug.

Bewegung bringt Veränderungen

Diese sehr bunte und mitunter grundverschiedene Menschengruppe lässt Autorin Paula Nicolai in ihrem Roman aufeinandertreffen. Auf engstem Raum versuchen es sich die Reisenden so gemütlich wie möglich zu machen. Vor allem in der ersten Klasse genießt man die Annehmlichkeiten, die das Zugpersonal bietet: Opulente Abenddiners, angeregte Gespräche unter den Herren im Rauchersalon. Und doch spürt man, dass hinter den aufgesetzten Minen mehr verborgen ist. Geschichten, Geheimnisse und Schicksale, die ans Licht gebracht werden wollen. Diese Zugreise ist dafür der geeignete Ort. Denn wie es oft auf einer Reise ist, bringt die Bewegung Veränderung mit sich. Perspektiven werden gewechselt, andere Orte bieten unerwartete Gelegenheiten und so manche Abzweigung nimmt ungeahnte Wendungen. Jede anwesende Person hat ihre eigenen Sorgen, Probleme, Träume und Wünsche im Gepäck. Kleine wie große, unerreichbare und solche, die Mut erfordern. Vor der atmosphärischen Kulisse einer Zugreise bietet Paula Nicolai Einblick in die Gesellschaftsschichten der 1920-iger Jahre, zeichnet Porträts von Menschen, die uns ans Herz wachsen, die uns überraschen und die uns schockieren.
Unterhaltsam und stimmungsvoll nimmt Sprecherin Tessa Mittelstaedt für die Hörbuchfassung das Publikum mit auf diese Reise. Sie versteht es, das besondere Ambiente dieses Zuges lebendig und die Hörerschaft zu einem stillen Teil der Reisegesellschaft werden zu lassen. Man fiebert mit, ist erstaunt und beneidet die Menschen, in solch einem exquisiten Zug gereist sein zu dürfen.

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