Graz abseits der Pfade

von Evelyn Schalk
Rezension von Stefan Cernohuby | 30. Juni 2018

Graz abseits der Pfade

Österreich ist kein Land der großen Städte, vor allem wenn man sie mit Wien vergleicht. Aber wenn man eine Liste jener Städte mit der größten Einwohnerzahl macht, kommt Graz an zweiter Stelle. Und Graz ist ein spezielles Pflaster, vor allem wenn man es näher kennen lernen will, vorbei am Augenscheinlichen und an den Touristenattraktionen. Evelyn Schalk versucht mit ihrem Werk „Graz – Abseits der Pfade“ andere Blickwinkel auf die steirische Landeshauptstadt zu ermöglichen.

Nach einem etwas verwirrenden Vorwort, das von Literarischem und dem Aufbrechen von Verkrustung und Abschottung berichtet, geht es auf. Auf in den Himmel, denn das erste Kapitel ist ein Erlebnisbericht der Autorin, die einen Segelflieger auf einer Tour über den Himmel begleitet und dabei auch mal selbst an den Steuerknüppel darf. Ein definitiv anderer Blick auf Graz, mit einigen Ausschnitten des passenden Soundtracks. Etwas, das über den Rest des Buchs fortgesetzt wird. Weiter geht es, ab durch die Mitte. Vorbei an den mehr oder weniger hippen Lokalen in ein Uhrengeschäft, das historische Uhren restauriert. Dann weiter zu einer Geigenbauerin aus Leidenschaft und zu verschiedenen Erzeugern spezieller Druckwerke. Spannende Insidertipps. Weiter geht es an die Mur, wo irgendwie ein Kraftwerk gebaut wird oder werden soll – und viele dagegen sind. Da gibt es Kunst und Texte dagegen, aber leider keinen Auhirsch, der das ganze medienwirksam trägt. Und es gibt eine Menge geschichtsträchtiger Punkte und nennenswerter Anekdoten. Fast schon zu viele an dieser Stelle. Um Freiräume und Raumnahme geht es danach. Und speziell um Frauen, Frauenbeauftragte und Veränderungen durch politische Einflussnahme. Etwas, was an mehreren Stellen erwähnt wird. Ein ambivalentes Verhältnis zu Grünflächen und die Wechselwirkung mit (noch nicht) betoniertem Grund wird aufgeworfen sowie Geschichte näher beleuchtet. Besonders der Umgang mit anderen Religionen und der eigenen Vergangenheit wird vermutlich zurecht in Frage gestellt. Literatur, Wörter und das Dazwischen bilden im Grunde den Abschluss des Werks – als grober Überblick.

Ist das Werk von Evelyn Schalk, das Graz aus anderen Blickwinkeln und eben abseits der Pfade beleuchten will, gut recherchiert? Ja, definitiv, das wird keiner bestreiten. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sie sich den Dingen selbst angenähert hat und versucht, Erfahrungen aus erster Hand zu transportieren. Aber hält der Band auch, was er sowohl im Pressetext als auch im Klappentext verspricht? Teils-teils. Gerade die ersten Abschnitte entsprechen ziemlich genau dem, was man als Leser vorab erwartet hat. Graz, eben nicht aus der Sicht eines Touristen. Aus er Luft betrachtet, aus der Zeit gefallen und zwischen Druckerpressen gefangen, begleitet von Geigenklängen. Beziehungsweise von Zitaten aus verschiedenen Musikstücken, die sich in jedes Kapitel mischen. Aber irgendwie verlieren sich der klare Faden und das Konzept ein wenig an den Ufern der Mur. Dort, wo es plötzlich Geschichtsstunden und Abschweifungen gibt. Wo kurz über die Farben von GAK und SK Sturm philosophiert wird, weil diese den politischen Ansichten wiedersprechen. Wo es um die letzten abgewrackten Schiffe der Kriegsmarine geht und um die (kaum) versteckten Massengräber, auf denen später Häuser gebaut wurden. Alles interessante, tragische und bemerkenswerte Punkte mit philosophischer und geschichtlicher Bedeutung, aber strukturell nicht unbedingt an der richtigen Stelle. Und irgendwie findet man danach schwer zurück in die Struktur, auch wenn von Superwoman Eva Ursprung die Rede ist und später Nino aus Wien, den man als Vagabunden vom Schloßberg vertrieben hat. Schade eigentlich.

„Graz – Abseits der Pfade“ ist ein Werk, das so beginnt, wie man es eigentlich erwartet. Leider verflechten sich die Pfade groß und breit, wobei man nicht immer sicher ist, wohin sie führen. Manchmal scheint es, als würden sie ungewollte Abzweigungen nehmen, was leider nicht das gesamte Werk gleichermaßen interessant und geradlinig macht. Somit sollte man sich das Buch eher dann zu Gemüte führen, wenn man gleichermaßen an Geheimtipps wie an philosophischen Fragestellungen, geschichtlichen Exkursen und berechtigter Kritik an aktuellen politischen Entwicklungen interessiert ist.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Anspruch:
  • Humor:
  • Illustration: