Lass mich dir von einem Mann erzählen, den ich kannte

von Susan Fletcher
Rezension von Emilia Engel | 14. August 2023

Lass mich dir von einem Mann erzählen, den ich kannte

Oftmals verläuft das Leben anders als man es sich gewünscht oder vorgestellt hat. Doch manches Mal reichten eine Begegnung oder ein Blick aus einem anderen Winkel, um dem Leben wieder auf die richtige Spur zu helfen. Jeanne, die alles andere als glücklich mit ihrem Leben ist, bekommt eine Chance, dieses zu reflektieren und sich selbst und ihre Umgebung neu zu entdecken.

1889. Saint-Rémy-de-Provence ist ein kleines Dorf in Frankreich mit einer Heilanstalt etwas außerhalb des Dorfes. Es ist nicht unbedingt die beliebteste und bekannteste Einrichtung dieser Art, weswegen es nicht allzu viele Patienten dort gibt. Die Dorfbewohner meiden die Anstalt und auch Jeanne und ihren Mann Charles, die nahe der Anstalt wohnen. Charles ist vorübergehend zum Leiter selbiger ernannt worden. Schon länge hatter er Jeanne  verboten, ihn in der Arbeit zu besuchen, denn dieser Umgang wäre viel zu gefährlich. Die geistig Kranken sind einfach viel zu unberechenbar. So ist Jeanne ziemlich einsam, verbringt ihre Tage alleine mit ihrem Garten und dem Blick auf die Weizen- und Lavendelfelder sowie die Heilanstalt. Ihre drei Söhne sind schon Flügge geworden und sie, die hier mit ihrem Mann, der sich immer mehr von ihr entfernt hat, zurückgeblieben ist, fühlt sich sehr verloren. Als ein neuer Patient für die Heilanstalt angekündigt wird, der erste seit vielen Jahren, beginnt etwas in Jeanne in Bewegung zu gekommen. Der Neue kommt aus Arles, ist Künstler und hat sich angeblich ein Ohr abgeschnitten.
Trotz des Verbotes kann sich Jeanne nicht von diesem Rotschopf fernhalten. Irgendetwas bringt dieser Mann in ihr zum klingen. Er ist so anders als alle anderen, seine Art etwas ruppig und doch ist er ein total faszinierender Mann. Immer wieder sucht sie seine Nähe, während dieser Vincent seine Bilder malt Sie sprechen viel miteinander und manchmal auch gar nicht. In Jeanne steigen wieder die Erinnerungen an früher auf, als sie jung und unbändig war. Als sie selbst noch in Arles gelebt hat. Es sind nicht nur gute Erinnerungen, es gibt auch so viele liebevolle Erinnerungen, an ihren Vater, ebenso an ihren Mann, dem sie sich im Moment so fremd fühlt. Was wird Jeanne mit all diesen in ihr hochkommenden Gefühlen machen?

Susan Fletcher versteht es, ihre Leserinnen und Leser in den Bann zu ziehen. Mit Jeanne hat sie eine ganz fabelhafte Protagonistin geschaffen. Sie ist eine vielschichtige Persönlichkeit, die mit ihren 55 Jahren in einer Phase ihres Lebens steckt, die voll Stagnation und Einsamkeit ist. Sie hat sowohl sich selbst verloren als auch ihren Mann. Mit der Ankunft von Vincent van Gogh ändert sich einiges. Jeanne will sich nicht länger an die sinnlosen Regeln ihres Mannes halten.Sie will nicht länger  die Einsamkeit ertragen. Sie wagt sich hinaus aus ihrem Schneckenhaus und lernt diesen außergewöhnlichen Mann kennen. Er bringt etwas in Bewegung, das sich nicht aufhalten lässt und längst überfällig war. Auch Charles ist ein interessanter Charakter. Er ist ein pflichtbewusster Mann und liebt seine Frau. Doch wie so oft , ist diese Ehe nicht gefeit vor Missverständnissen und einem Mangel an Kommunikation.
In Jeannes Erinnerungen sieht sie sich wieder als junge Frau in Arles, wo sie sich für die damalige Zeit erstaunlich frei und stark fühlte. Wir lesen hier eine Geschichte von einer Frau, die sich selbst wiederentdeckt und versucht wie ein Phönix aus der Asche neu emporzusteigen. Doch sie will sich nicht, wie es oft in Büchern geschrieben wird, komplett neu erfinden. Sie wagt etwas, das im Grunde noch viel schöner ist.
Susan Fletcher hat eine schöne und bedachte Art zu schreiben, lässt Details lebendig werden und den Lesenden in ihre Welt eintauchen. Es geht hier nicht um eine Geschichte, die zu einem Happy End führen soll oder um eine Romanze, es geht hier um viel mehr. Und genau darum ist dieses Buch so berührend.

Wunderbar mitreißend geschrieben, ist dieses Buch eine bestärkende Lektüre über die Kraft des Neuanfangs. Viele Details über Van Gogh und seine Bilder beruhen auf Tatsachen und Susan Fletcher hat drum herum eine wunderbare Geschichte gewoben, die nicht wider Erwarten Van Gogh als Mittelpunkt hat, sondern die Frau Jeanne. Eine ausgezeichnete Lektüre, die wir den Leser und Leserinnen sehr ans Herz legen können.

Details

  • Autor*in:
  • Originaltitel:
    Let Me Tell You About a Man I Knew
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    05/2023
  • Umfang:
    335 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • ISBN 13:
    9783458643678
  • Preis (D):
    23 €

Bewertung

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