Aspergers Schüler

von Laura Baldini, Tanja Fornaro (Sprecher*in)
Rezension von Janett Cernohuby | 11. August 2025

Aspergers Schüler

Die in den 1910er-Jahren gegründete heilpädagogische Kinderklinik in Wien war ein Vorzeigeprojekt, denn erstmals haben hier Kinderärzte, Kinderpsychologen und Pädagogen zusammengearbeitet, um verhaltensauffälligen Kindern zu helfen. Einer dieser Ärzte war Dr. Hans Asperger, jener Arzt, welcher der Namensgeber für die gleichnamige Spektrumsstörung ist. Wie sahen seine Arbeit und seine Forschungen aus? Und vor allem, welchen Weg nahmen sie im aufkommenden Nationalsozialismus? Lara Baldini führt uns hinein in jene Zeit und zeichnet ein erschütterndes und bewegendes Bild.

Ein zweifelhafter Arzt

Die junge Psychologin Sarah verweilt 1986 zu Forschungszwecken in Wien. Objekt ihrer Arbeit ist der Arzt Hans Asperger, dessen Behandlung von psychisch kranken Kindern überhaupt erst zur Diagnose Autismus-Spektrum-Störung führte. Doch je mehr Sarah forscht, desto mehr Zweifel regen sich in ihr. War Asperger wirklich der, für den sie ihn immer gehalten hat? Welche Rolle nahm er während der Zeit des Nationalsozialismus ein? Sarahs Recherchen machen sie auf das Schicksal Erichs aufmerksam. Mit acht Jahren wurde er in die heilpädagogische Kinderklinik gebracht. Erich fiel es schwer, Gefühle zu zeigen und mit Menschen in Kontakt zu treten. Dafür konnte er hochkomplexe mathematische Aufgaben lösen. Nach schrecklichen Jahren in einer Pflegefamilie stößt Erich in der heilpädagogischen Kinderklinik zum ersten Mal auf Verständnis und Mitgefühl. Vor allem die Krankenschwester Viktorine schließt den Jungen ins Herz. Als das NS-Regime in Österreich einzieht und auch die Arbeit in der bahnrechenden Kinderabteilung beeinflusst, bricht für Viktorine eine Welt zusammen. Sie ist entsetzt über den Umgang mit den Kindern, schockiert über die Misshandlungen, die ihnen in der Klinik am Spiegelgrund zugefügt werden, die bis hin zur systematischen Tötung gehen. Für Erich wird es lebensgefährlich und bei seiner Überweisung in den Spiegelgrund verliert sich in der offiziellen Akte seine Spur.

Ein Stück Zeitgeschichte

Auf zwei Handlungsebenen erzählt Laura Baldini diesen bewegenden und erschütternden historischen Roman. Dabei führt die Autorin die Hörerschaft durch zwei unterschiedliche Wiens: Das eine während des Umbruchs am Beginn der NS-Zeit, das andere im Jahr 1986, als Kurt Waldheim umstrittener Bundespräsident wurde. Bereits diese historischen Kulissen sind unglaublich spannend zu betrachten. Das Wien Ende der 1930-iger Jahre, wo die Nachwehen der Februaraufstände von 1934 noch immer zu spüren waren und die Vorboten des NS-Regimes sich ankündigten. Und das Wien von 1986, aufgewühlt von der Waldheim-Affäre und noch fest in der Ansicht, selbst ein Opfer des NS-Regimes gewesen zu sein. Vor diesen Hintergründen wandelt die Hörerschaft auf den Spuren des berühmten Arztes. Den größeren Teil der Handlung nehmen Sarahs Recherchen ein. Stückchenweise zeichnet sich ein Bild der Arbeit Aspergers, wobei der Fokus sich bald auf den Buben Erich richtet. In Tagebucheinträgen der Krankenschwester Viktorine erfahren wir über die Arbeit mit dem Jungen, über Abläufe in der heilpädagogischen Kinderklinik, ebenso über die Schrecken, die sich in der Klinik am Spiegelgrund abspielten. Zwischendrin springt die Handlung in jene Zeit zurück, lässt Viktorine selbst zu Wort kommen, wodurch die Ereignisse noch lebendiger, spürbarer werden. Diese Kombination zeichnet ein aufwühlendes und erschreckendes Bild, lässt aber die Frage, welche Rolle Asperger nun eingenommen hat, offen. Ja, er hat unter dem NS-Regime gearbeitet, ja, er hat Kinder in die Klinik am Spiegelgrund überwiesen. Aber war er Nazi? Weder die Autorin, noch ihre handelnden Frauen beantworten diese Frage, sondern überlassen dies den Historikern. Stattdessen bietet sie uns einen Einblick in die medizinische Arbeit mit autistischen Kindern, in die fortschrittliche Arbeit in der einstigen Vorzeigeklinik und lässt mit Erik jene Kinder von damals zu Wort kommen.

Aspergers Schüler

„Aspergers Schüler“ ist ein aufwühlender und bewegender Roman über die Arbeit jenes Arztes, nachdem das gleichnamige Syndrom benannt wurde. In zwei Handlungsebenen tauchen wir ein in ein Wien, während eines der dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte.

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