Blaues Venedig - Venezia Blu


Eine Reise in die Abgründe der Lagunenstadt
von Wolfgang Salomon
Rezension von Michael Seirer | 26. April 2017

Blaues Venedig - Venezia Blu

Venedig, die Lagunenstadt im Norden Italiens mit ihren über 100 Inseln, ist wohl eine der Städte, die weltweit am meisten von Touristen überflutet wird. Schwer vorzustellen also, dass es in und um das historische Zentrum also wenig bekannte und kaum besuchte Plätze mit oft geheimnisvoller Geschichte gibt. Wolfgang Salomon, ein profunder Kenner der Gegend, hat diese jahrelang immer wieder besucht und präsentiert das Ergebnis seiner Entdeckungen und Nachforschungen nun in Buchform, begleitet von vielen Schwarzweiß-Fotos.

Der Beginn des verstörenden ersten Kapitels mit dem Namen “Erste Begegnung mit dem Totenkäfer” stimmt den Leser auf das Buch und seine Geschichten ein: Der Autor versteht es, seine Erlebnisse in emotionale und fesselnde Erzählungen zu packen. Er besucht die Insel San Servolo, welche in frühen Zeiten ein Benediktinerkloster und später ein Hospital beherbergte. Dort trifft er auch auf Enzo, einen ehemaligen Patienten, der ihm nach ein paar Zigaretten von seinem verpfuschen Leben erzählt und genauso plötzlich wieder verschwindet, wie er gekommen ist. Das Museo del Manicomio befindet sich ebenfalls auf der Insel und beherbergt eine makabre und abstruse Sammlung von Ausstellungsobjekten, die die Geschichte der dortigen psychiatrischen Anstalt von 1725 bis 1978 belegen. Der Magnum Fotograf Ryamond Depardon hat hier die Patienten Ende der 1970er Jahre fotografiert und auf der Nachbarinsel San Clemente eine verstörende Dokumentation über das Manicomio gedreht.

Auf San Giorgio in Alga, eine einstmals prächtige Insel mit Klostergebäude, welche immer wieder als geheimer Treffpunkt für Diplomaten und Staatsoberhäupter verwendet wurde, befand sich im zweiten Weltkrieg ein Ausbildungszentrum für “Froschmänner” (für den Kampf im Wasser ausgebildete Kampfschwimmer).

Die Nachforschungen des Autors führen auch zum Theriak von Veneziano - einem mythischen Zaubertrank, der Heilung bei Pest und Syphilis versprach und dessen Handel streng reglementiert war. Der Trunk verhalf Venedig und dessen Apothekern zu großem Reichtum. Dabei beinhaltete der Trank so illustre Zutaten wie Einhornpulver, pulverisierte Hoden des Damhirsches, Entenblut und auch Opium. Die Herstellung war nur einmal im Jahr erlaubt und hatte unter den Augen der Öffentlichkeit zu erfolgen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Herstellung eingestellt, weil zu viele illegale Imitate den Markt überfluteten. An drei Stellen mitten in Venedig, vom sich stetig wälzenden Touristenstrom übersehen, finden sich noch heute Spuren, die an das Theriak von Venedig erinnern.

Auch die Insel Poveglia, in frühen Zeiten Verbannungsort für Pestkranke und später Standort für ein Hospital, erlangte durch die TV Serie “Ghost Hunter” Anfang der 2000er auf Grund von erfundenen Spukgeschichten unrühmliche Bekanntheit. Und obwohl der Autor nicht abergläubisch ist, passierten ihm schwer erklärbare Dinge auf der Insel…

Touristisch relevante Örtlichkeiten werden erfreulicherweise kaum erwähnt. Neben detailreichen geschichtlichen Zusammenfassungen der besuchten Plätze und Inseln erzählt der Autor auch immer seine eigenen Erlebnisse vor Ort und macht das Buch damit zu einem persönlichen Reisetagebuch. Die Verwendung von vielen italienischen Begriffen fördern das Fernweh und man bekommt Lust, die umliegenden Inseln der Serenissima selbst zu erkunden. Man ertappt sich dabei, die Orte auf Google Maps zu suchen und begleitet den Autor virtuell via Google Earth auf seinen Erkundungs- und Fototouren, um den Ausführungen noch besser folgen zu können. Viele der Ort sind völlig abseits der Touristentrampelpfade und so trifft er dort auch keine Menschenseele.

Neben intensiven Nachforschungen fotografiert der Autor die besuchten Orte leidenschaftlich. Die im Buch abgebildeten Fotos sind allerdings sehr klein geraten und auf Grund der Druckqualität (es handelt sich ja nicht um ein Fotobuch) eher schlecht zu erkennen. Das ist schade, da der Einband mit Fotos von Venedig und Lust auf mehr macht.

Zum bewusst “antiquierten” Stil, der sehr gut mit den Erzählungen harmoniert, werden immer wieder englische, moderne Formulierungen eingebunden, die nicht so richtig zum restlichen Buch passen wollen. Die auf der Buchrückseite angekündigten kulinarischen Tipps könnten auch gerne etwas ausführlicher ausfallen.

“Blaues Venedig” ist ein Reiseführer, der die mystischen und versteckten Plätze rund um die Serenissima vorstellt. Man merkt dem Autor sein über viele Jahre und Besuche aufgebautes immenses historisches Wissen an und es macht Spaß, ihn bei seinen Erlebnissen auf verlassenen Inseln und in verfallenen Gebäuden zu begleiten. Am Ende der Lektüre bleibt, sich eine gut gekühlte Flasche Malvasia zu besorgen und gedanklich wieder in die Welt der verwunschenen Plätze rund um Venedig einzutauchen.

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