Ju Honisch über das Salzkammergut und lange Romane

Beitrag von Stefan Cernohuby | 30. März 2010

Juliane „Ju“ Honisch ist zwar schon seit vielen Jahren als Autorin und Liedermacherin aktiv, ihren ersten großen Erfolg als Schriftstellerin feierte sie aber erst 2008. In diesem Jahr erschien ihr Debütroman „Das Obsidianherz“ im Verlag „Feder & Schwert“. Ein Werk, das immerhin den deutschen Phantastik Preis für das beste deutschsprachige Romandebüt gewonnen hat. Ende 2009 hat sie mit ihr mit dem Zweiteiler „Salzträume“ nochmals die gleiche Welt aufgesucht. Grund genug, Ju Honisch dazu einige Fragen zu stellen.


Janetts Meinung: Jedem Leser von „Das Obsidianherz“ war amJu Honisch Ende des Buchs klar, dass es im Buch zahlreiche Handlungsstränge gibt, die noch nicht an ihrem Ende angelangt sind. War auch dir von Anfang an klar, dass du eine Fortsetzung zu diesem Roman schreiben würdest?

Ju Honisch: Nein, eigentlich gar nicht. Allerdings hatte ich das Buch auch nicht angefangen, um einen Roman zu schreiben. Ich habe im Grunde eine Geschichte als Geburtstagsgeschenk für einen Freund schreiben wollen, doch dann haben sich die handelnden Personen irgendwie selbständig gemacht, mir eins übergebraten und darauf bestanden, dass das ein Roman werden zu werden hatte.
Tatsächlich hat sich das Obsidianherz fast von alleine geschrieben. Die späteren „Werke“ waren viel mehr Arbeit und sind es noch. Jedenfalls war mir irgendwann gegen Ende des Buches klar, dass da noch viel drin steckte in den Charakteren. Die wollten noch nicht aufhören, Abenteuer zu erleben.

JM: „Salzträume“ führt den Leser, wie auch der Titel schon ein wenig suggeriert, ins Salzkammergut. Hast du eine besondere Beziehung zu dieser Region oder bist du erst im Rahmen deiner Recherchen auf geheimnisvolle Stollen und düstere Machenschaften gestoßen?

JH: Als Kind war ich in einem Ferienheim am Altausseer See. Es hieß Schloss Ramgut und diente ein wenig als Vorlage für „das Schlösschen“, in dem die Heldin, Charly, aufgewachsen ist. Ich war so etwa elf Jahre, aber die ganze Gegend mit ihren Glitzerseen und dunklen Höhlen, ihren Legenden und Geheimnissen hat mich schon damals tief beeindruckt. Ich weiß noch, dass wir an den Kammersee wanderten und ich auf einmal das Gefühl hatte, in der Szenerie eines Märchens gelandet zu sein. Die Erinnerung hat mich nie verlassen. So war es ganz logisch, dass ich in dieser Märchengegend auch mal ein phantastisches Abenteuer spielen lassen würde. Übrigens, den „Ladnerwirt“, die ehemalige Poststation am Grundlsee, gibt es immer noch. Bei meinen Besuchen zur Recherche habe ich da immer selbst gewohnt.
Es ist einfach schön im Salzkammergut. Und man kann sich zumindest ungefähr anschauen, wo die Handlung von „Salzträume“ spielt. Man kann in die Dachsteinhöhlen, in die Salzbergwerke, über die Seen. Kann ich jedem nur empfehlen. Zwei Leserinnen haben mir geschrieben, dass sie ihren nächsten Urlaub dort planen. Vielleicht treffen sie ja den Wassermann vom Grundlsee?
Natürlich würde ich mich freuen, wenn das Buch auch in den Buchhandlungen vor Ort den Touristen angeboten würde. Falls es mal regnet (tut es natürlich NIE im Salzkammergut), hätte man was Passendes zu lesen.

JM: Wie würdest du den Inhalt von „Salzträume“ in wenigen Worten zusammenfassen, um einen potentiellen Leser dafür zu interessieren?

JH: Oh – wenige Worte sind nicht das, wofür ich bekannt bin.
1865. Es ist Herbst in den Bergen des Salzkammerguts, einem Landstrich von mythischer Intensität und mystischer Schönheit. Im gigantischen Höhlensystem des Toten Gebirges entwickelt ein skrupelloser Erfinder heimlich eine furchtbare Waffe. Die Maschine soll magische Energie in militärische Zerstörungskraft umwandeln. Als Munition sieht man die mythischen Fey vor. Ihnen will man ihre Energie entziehen, um damit die Waffe zu betreiben.
Charly, eine junge Frau mit Mut und Prinzipien, versucht, einem Feyon zu helfen. Das macht sie selbst zur Gejagten. Doch ihr neuer Verbündeter ist keinesfalls so harmlos und nett ist wie gedacht. Sie ist nun im Höhlensystem einsperrt - mit einem Mann, dem Blut lieber ist als Wasser. Delacroix und McMullen werden ebenfalls in die Verschwörung hineingezogen, irren ausweglos durch den Berg und wecken etwas, das sehr viel besser unerweckt geblieben wäre. Und für alle gibt es nur einen einzigen Ausweg - und der führt direkt in die Hände der Verschwörer.
Der Tod wird eine greifbare Größe und sucht sich seine Opfer.

Ju und Stefan in Leizig 2009JM: Autoren lesen nicht immer nur, was sie selbst schreiben. Was gehört zu deinen Lieblingsgenres, wenn es um das Lesen geht?

JH: Ich lese beinahe alles. Gerne natürlich Fantasy (wenn sie nicht zu einfach gestrickt ist) und Science Fiction (wenn sie nicht zu technisch ist). Ich liebe Terry Pratchett, Tanya Huff, China Mieville, Matt Ruff und Lois McMaster Bujold.
Gelegentlich lese ich auch mal Krimis. Und ich lese schon aus Recherchegründen sehr viele historische Sachbücher (von Biographien, über die Geschichte der Unterwäsche bis hin zu Technikgeschichte) und beschäftige mich mit Volkskunde und Brauchtum.
Im Moment lese ich (schon ziemlich lange) „Quicksilver“ von Neal Stephenson, ein historischer Roman, der zu den Anfängen der Naturwissenschaft im 17. Jahrhundert spielt. Ein tolles Buch, aber komplex und lang. Newton und Leibnitz sind handelnde Personen.

JM: Deine Romane werden vom Verlag als „Steampunk“ kategorisiert. Etwas, was im Fall von „Salzträume“ sicherlich zutreffend ist, bei „Das Obsidianherz“ vielleicht nicht ganz so sehr. Wie stehst du zu derartigen Subgenre-Kategorisierungen? Hältst du sie für wichtig oder sollten deine Werke einfach unabhängig von Kategorisierungen überzeugen?

JH: Für mich sind Genrelabels nur etwas, dass es Bibliothekaren hilft, Bücher auf die richten Regale zu sortieren. Und dann haben sie natürlich noch einen starken Marketing-Aspekt. Ansonsten halte ich selbst eher wenig davon.
Das, was ich schreibe, ist immer ein Genremix: Fantasy, ein bisschen Abenteuer-Thriller, ein bisschen historischer Roman, in kleines bisschen Liebesgeschichte – und Steampunk schon auch. Ein äußerst freundlicher Rezensent hat es mal als Mischung zwischen Lovecraft und Theodor Fontane beschrieben. Darüber habe ich mich natürlich sehr gefreut, aber wo sortiert man das ein?
Man kann sich natürlich lang und breit in Definitionen ergehen, ist es dies oder jenes, erfüllt es die Kriterien von X oder Y – und wie definiert man diese Kriterien überhaupt (auch eine gute Möglichkeit, stundenlang zu diskutieren). Aber nichts davon sagt im Grunde etwas über ein Buch aus. Ein Buch ist spannend oder langweilig, gut oder schlecht geschrieben, man liest es gerne oder man schmeißt es angeödet in die Ecke. Natürlich schaue auch ich im Buchladen zuerst auf die ‚einschlägigen’ Regale. Aber ob die Bücher, die ich da finde, mir gefallen oder nicht, ist damit nicht gesagt.
Doch Menschen lieben ihre Definitionen und Kriterien. Das ist in „Salzträume“ sogar immer wieder Thema. „Der menschliche Geist … wuchs, streckte sich, entwickelte sich unablässig. Er meisterte die Aufgabe, die Flut von Unwahrscheinlichkeiten, auf die er traf, anzupassen, Erklärungen dafür zu erfinden, Definitionen zu zimmern und physikalische Unmöglichkeiten in ein ordentliches System enigmatischer Schubfächer einzusortieren. Das unbeeindruckende Ergebnis schrieb er dann als Dogma fest und prügelte es in die Ungläubigen.“ Das ist SO. Das ist schon immer SO gewesen. Das gehört DA rein. Alles andere GEHT NICHT.
Definitionen gehen über Erklärungen hinaus, sie bieten uns eine Art trügerischer Sicherheit, ein eher linkisches Denk- und Bewertungssystem, das uns ein Arbeitsvokabular an die Hand gibt, mit dem wir auch über Dinge sprechen können, die wir vielleicht gar nicht verstehen.
Meine Bücher werden, wie gesagt, auch rezensiert – erfreulicherweise meist ziemlich gut. Aber bisweilen kommen auch Rezi-Texte, die bestehen ausschließlich aus Klappentext und vielen Worten darüber, in welches Genre dieses Buch jetzt passt oder nicht passt und warum oder warum nicht. – Was sagt das irgendwem?
Wie schon erwähnt, hat die Sache natürlich einen Marketingaspekt. Ein Beispiel: Ich liebe die Bücher von Matt Ruff. Sein erster Roman „Fool on the Hill“ ist eindeutig ein Fantasy-Roman. Er hat „Sprites“ (helfende Wichtel im Universitätseinsatz), ein böses Drachenmonster, Musen, die einem in persona das Herz brechen, und einen Lift zum Keller eines Unigebäudes, über den man direkt nach Mittelerde kommt. Dennoch ist das Buch in einem Mainstream-Verlag rausgekommen (In Deutschland bei Carl Hanser). Und warum? Matt Ruff hat das Buch als Examensarbeit für sein Creative Writing Studium an der Uni beschrieben. Seinem Literaturprofessor gefiel es. Der hatte Verbindungen zu guten Mainstream-Verlagen und hat die Veröffentlichung vermittelt. Seitdem kommt alles von ihm im Mainstream raus und ist höchst offiziell KEINE Fantasy (Wichteln, Drachenmonstern, Musen und ganz Mittelerde zum Trotz). Verkauft sich prima, und die Leute, die zu Matt Ruffs Lesungen kommen, erscheinen im Kostümchen und in Stöckelschuhen, mit Hochsteckfrisuren und der festen Kultur-Schickeria-Meinung, dass sie Fantasy ja nie lesen würden. Aber Matt Ruff natürlich schon. Der ist ja Mainstream, und man bekommt nicht das Abitur aberkannt oder wird mit der Pinzette aus der Riege der angepassten Bildungsbürger entfernt, wenn man zugibt, ihn zu mögen.
Ohne Matt Ruff seinen wohlverdienten Erfolg zu missgönnen: ganz ehrlich - das ist doch sch…recklich.

JM: Charaktere entwickeln sich oft in eine bestimmte Richtung, die der Autor ursprünglich gar nicht so im Sinn hatte. Gibt es eine fiktive Person in „Salzträume“, gegen die du Abneigung verspürst oder du besonders magst?

JH: Nun, das teilt sich natürlich schon auf in „Gute“ und „Böse“, wobei es mir durchaus auch Spaß macht, die Gedankengänge von „Bösen“ zu verfolgen. Von Waydt und seine verquere Rechtschaffenheit, die so dimensioniert ist, dass sie ihm immer Recht gibt - auf Kosten der Rechtlosigkeit anderer. Die rücksichtslose Gewissenlosigkeit eines Forschers, der sich „gute Gründe“ gibt, um eine furchtbare Idee zu entwickeln. „Gute Gründe“ sind ja etwas, das man allenthalben und für jede Untat definieren kann. Da sind wir dann wieder bei menschlichen Definitionen, ihrer Ausrichtung, ihrer Zielführung oder Absicht.
Ja, es macht schon Spaß, mit so etwas zu spielen.
Aber zurück zu den Charakteren. Natürlich mag ich meine Helden und Heldinnen. Eine besondere Schwäche habe ich für Asko, weil er in seiner verschrobenen Wohlanständigkeit einen Innenfeind hat, der fast gefährlicher ist als alles, das er erlebt. Er könnte es sich einfach machen und sich hinter den Regeln, an die er glaubt, verstecken. Aber er macht es sich nie einfach.

JK: Du bist ja bekannt dafür, dass du dich auch anderen Kunstformen widmest, insbesondere der Musik. Welchen Stellenwert nehmen Literatur und Musik im Verhältnis zueinander in deinem Leben ein?

JH: Musik tritt im Moment ein wenig in den Hintergrund. Das ist keine Frage der Vorlieben, sondern rein eine Zeitfrage. Solange ich vom Schreiben leider noch nicht leben kann (und wer kann das schon?) und vier Tage die Woche einen ziemlich fordernden „Day-Job“ habe, ist mein Leben und meine Kreativität minutengenau verplant. Und für Musik muss man viel üben. Nur wann?
Wir (Yoohkaty) hatten Anfang März ein Konzert in den USA. Das lief erfreulich gut und hat mir Auftrieb gegeben, wieder etwas mehr zu machen.
Ganz lose umschleicht mich der Gedanke, eine CD mit eigenen deutschsprachigen Balladen zu machen. Das Gros meiner Lieder ist ja in Englisch, weil das Gros meiner Zuhörer eben auch nur Englisch kann. Das heißt aber nicht, dass man nicht mal was ganz anderes machen könnte. Tatsächlich gibt es sogar Lieder zu meinen Büchern. Und ich habe inzwischen genug deutsches Material, um eine CD mit bardischen oder phantastik-orientierten Balladen zu machen. Ich werde mal anfangen, ein paar interessierte Musiker um mich zu scharen, die Lust haben, bei so was mitzumachen.

Übrigens, ich habe auch die Musik zu meinen Youtube Buch Trailern komponiert:
Trailer 1, Trailer 2, Trailer 3

JK: Was sind deine nächsten Pläne oder Projekte?

JH: Ich schreibe an einem Roman, der im Bayerischen Wald spielt, dort wo er am waldigsten ist, mit Raben und Wölfen und einem Fluch, die seit Generation auf einer Familie lastet, etc. Da schreibe ich schon recht lange dran. Danach, denke ich, werde ich mal einen Exkurs ins Hier und Jetzt machen, allerdings nicht ohne phantastische Elemente.
Meine Agentin möchte immer, dass ich Krimis schreibe. Aber bis jetzt habe ich mich an den Gedanken noch nicht gewöhnen können. Tatsächlich könnte sie Krimis vermutlich leichter an den Mann bekommen als Fantasy. Der Phantastik-Markt hat doch schon sehr seine eigenen Regeln.

JK: Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Wir wünschen weitere Erfolge mit „Salzträume“ und sind gespannt auf die nächsten Romane.

Ju Honisch über das Salzkammergut und lange Romane